Fraumatisch – Anna Meyer im Bauhaus Dessau

Anna Meyer, Toleranzblick, 2023
© VG Bildkunst, Bonn 2024, Foto: Rudolf Strobl, Courtesy: Galerie Krobath und Künstlerin

Bauhaus Dessau, 22.03. bis 08.12.2024

Anna Meyers Kunst, oftmals dem „bad painting“ zugeordnet, ist in den letzten Jahren konzeptueller, irrealer und narrativer zugleich geworden – ohne dabei Abstriche an ihren poppig-politischen Dimensionen zu machen. Auch werden heuer modellhaft-skulpturale Formulierungen zunehmend wichtig im Werk der in Wien lebenden Künstlerin. All dieses ist jetzt ihrer aktuellen Einzelausstellung Planet B Haus im Bauhaus Dessau präzise ablesbar.

Der mit gleich 18 Arbeiten fulminanten Ausstellung, die aus einem längeren Stipendienaufenthalt am Bauhaus Dessau resultierte, ging eine intensive Recherche voraus. Anna Meyer interessierte dabei vor allem die Rolle der Frau am Bauhaus Dessau, frühe ökologische Bewegungen in Dessau und die Leerstellen der Moderne, die gerade in den Ideen des Bauhauses manifest erscheinen und bis heute das Leben auf dem „Planet Bauhaus“ in fataler Weise mitbestimmen. Diese drei Aspekte schließt Anna Meyer dann in ihrer Ausstellung in so intelligenten wie überraschenden Variationen kurz mit unserer aktuellen politischen Situation. Dass die Ausstellung in der ehemaligen Weberei des Bauhaus Dessau, also dem Ort, an dem damals vor allem Frauen tätig sein durften, stattfindet, unterstreicht zusätzlich die feministische Verve von Planet B Haus

Anna Meyer, Planet B Haus, Ausstellungsansicht 2024
© VG Bildkunst, Bonn 2024, Foto: Anna Meyer, Courtesy Galerie Krobath und Künstlerin

Als Zentrum der Show kann das großformatigen Gemälde Toleranzblick, 2023, angesehen werden, denn in ihm treten die wichtigen Themen von Planet B Haus in konzentrierter Form in einen komplexen Dialog ein. Im Hintergrund des in hellen, poppigen Farben gemalten Bild, das wohltemperiert die fast schon komplementäre Spannung von Gelb und Blau ausreizt, ist das Gebäude des Dessauer Bauhauses zu sehen, jetzt programmatisch in „Frauhaus“ umgetauft, kontrovers anspielend auf die marginalisierte Rolle der Frau im historischen Bauhaus. Im Vordergrund dann ist ein Denkmal zu sehen, genauer: der „Warnungsaltar“, der anno 1800 als frühes Naturschutzdenkmal im Wörlitzer Gartenreich Dessaus errichtet wurde. Sein Motto: „Achte Natur und Kunst und schone ihre Werke“ wird in dem Gemälde von einem weiteren Denkmal, das die römische Göttin der Jagd Diana in Rettungsweste und einem Hund an ihrer Seite zeigt, kritisch gegengelesen. Diana und Hund stehen dazu auf einem Sockel, der mit dem herzförmigen Logo der Umweltaktivistengruppe „Die letzte Generation“ geschmückt ist. Gerade die Aktivist:innen also werden hier von Anna Meyer ins Spiel gebracht, die aus Protest gegen die völlig unzureichenden politischen Maßnahmen gegen die fortschreitende Klimakatastrophe die Werke der Kunst nicht schonen, sondern in der Tradition der Bilderstürmer attackieren, allerdings ohne diese wirklich zu beschädigen. Geschichte und Gegenwart treten so auf den Plan und verweisen dabei auf eben die Verantwortung, die das Bauhaus dafür trägt, dass auf Grund seiner modernen Auffassung von Rationalität und Technikgläubigkeit die Natur als vermeintlich unerschöpfliche Ressource gnadenlos vom aufgeklärten, im Sinne des Eurozentrismus, Menschen ausgebeutet wird. So malt die Künstlerin dann auch neben diesem Denkmal eine hölzerne Figur, die unter anderem an Arbeiten des Bauhaus-Meisters Oskar Schlemmer erinnert. Dessen Figuren sind nicht zuletzt durch ihre Betonung einer universal gültigen Idee des Mechanistischen charakterisiert, also durch die Reduktion des Individuellen auf ein störungsfreies, möglichst effizientes Funktionieren. 

Anna Meyer, Frauma, 2023
© VG Bildkunst, Bonn 2024, Foto: Thomas Meyer, Courtesy Galerie Krobath und Künstlerin

An Oskar Schlemmer erinnert auch der goldene Kopf der „lebensgroßen“ Frauenfigur in der modellhaften Skulptur Frauma (Modell), 2023, die gleich hinter dem Bild Toleranzblick steht. Dieser maskierte Kopf zitiert eine Bühnenmaske, die Oskar Schlemmer im Bauhaus entworfen hat. Auf dem mechanistisch-konstruktiv gestaltetem Körper der Figur liegt ein länglicher Verdauungstrakt aus Glas, durch den am Ende eine blaue Flüssigkeit sich auf den Boden ergießt – die Traumata, die Frauen (= „Frauma“) im Patriarchat erleiden, gehen hier buchstäblich durch den Magen. Diese markante Figur nun, die auch an Sadomaso-Puppen denken lässt, sitzt auf einem schwarzen Stuhl, das bekannte Foto Frau im Klubsessel B3 von Marcel Breuer, 1926, von Erich Consemüller abgewandelt nachstellend. Dieser heute immer noch hergestellte Klubsessel wurde „selbstverständlich“ nicht nur von einem Mann gestaltet, sondern ist zudem auch nach einem solchen benannt, nämlich nach Wassily Kandinsky. Der „Wassily-Stuhl“ von Marcel Breuer wurde als einer der ersten Möbel überhaupt aus Stahlrohr gefertigt und gilt heute als Ikone eines sachlich-minimalistischen Designs, das streng auf optimale Funktionalität ausgerichtet ist. Besagtes Stahlrohr wurde übrigens von der in Dessau ansässigen Firma Junkers hergestellt, einer Firma also, die bekannt ist nicht nur für seine Gasheizungen, sondern vor allem auch für seine Kriegsflugzeuge – Stichwort: die legendäre JU 52 …

Die Skulptur Frauma ist dann auch Motiv eines gleichnamigen Gemäldes in der Ausstellung. Hier sitzt die Figur auf ihrem Marcel Breuer-Stuhl inmitten einer unheimlich erscheinenden, versandeten Landschaft inklusive einer modernistisch anmutenden Architektur. Das Moment des Traumatischen wird so von der Künstlerin gedanklich-malerisch weitergeführt in Richtung Klima und Umwelt heute. Eben solch „TEXTile“ Verknüpfungen der einzelnen Arbeiten in Planet B Haus machen die Ausstellung nicht zuletzt auch zu einem diskursiven Erlebnis, in dem, mit den Worten Anna Meyers formuliert, „die Zeitachse sich durch die Geschichte in die globale Jetztzeit dreht. ‚Das Kapital‘ verkommt zum Kapitalismus, ‚Der Konsum‘ zur Konsumwelt, ‚Die Gewalten‘ stehen unter Strom, Aktion und Reaktion produzieren Terrorismus, Krieg, Grauen. So kommen die Bilder und Modelle automatisch über solche Zeitachsen zusammen.“ (Pressemappe)

Anna Meyer, Planet B Haus, Ausstellungsansicht 2024
© VG Bildkunst, Bonn 2024, Foto: Anna Meyer, Courtesy Galerie Krobath und Künstlerin

Parallel zu der Fülle an Angeboten zur (system-)kritischen Reflexion bietet Planet B Haus aber mit ihren schnell zu verstehenden, bildlich ausgehandelten Kontroversen und deren emotional überaus antriggernden, poppig-bunten Darstellungen auch eine Ästhetik, die man wohl als eine des „linken Populismus“ im Sinne von Chantal Mouffe bezeichnen kann. Die Politikphilosophin schreibt in ihrem Buch „Über das Politische“, 2007, nämlich davon, dass es „Politisierung nicht ohne konfliktvolle Darstellung der Welt mit gegnerischen Lagern geben kann, mit denen die Menschen sich identifizieren können, eine Darstellung der Welt, die die politische Mobilisierung von Leidenschaften innerhalb des Spektrums des demokratischen Prozesses zulässt.“(1) Identifikation und evozierten Leidenschaften also gelingt es Politik wieder zu mehr zu machen, als zu einem mehr oder weniger elitären und technokratisch-postdemokratischen Vorgang. In eben diesem Sinne gelingt es Anna Meyer mit ihrer emotionalen Ansprache inklusive diverser Identifikationsangebote – etwa mit den präsentierten Frauenfiguren – ihre politisch-malerische Kunst so zu formatieren, dass sie auch außerhalb des engeren Kunstbetriebes für An- und Aufsehen sorgen kann. 

(1) Chantal Mouffe, Über das Politische, Frankfurt am Main 2007, S. 35.

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