Gottfried Helnwein. Realität und Fiktion

Gottfried Helnwein, The Murmur of the Innocents 22, 2011
Courtesy: © Collection Renate Helnwein, Ireland | Bildrecht Wien, 2024

Albertina Wien, 25. Oktober 2023 bis 11. Februar 2024

Hyperrealismus, Fotografie und technische Perfektion sind laut Einführungstext auf der Homepage der Albertina die wichtigsten Parameter der Malerei von Gottfried Helnwein, wenn es heißt: „Seine hyperrealistischen Bilder, die immer nach einer fotografischen Vorlage entstehen, bestechen durch ihre technische Perfektion.“ Im Gegensatz dazu belehrt uns der Künstler selbst anlässlich der Ausstellungseröffnung, dass die Bezeichnung Hyperrealismus zwar verständlich, aber falsch sei. Sein Stil sei lediglich als folgerichtige Notwendigkeit eines Konzeptkünstlers zu verstehen, dessen technischen Finessen keine besondere Stellung eingeräumt werden sollte. Diese Aussage eines Malers verwundert, ist doch der Hyperrealismus in seiner Allianz mit dem Stillleben ein „metapikturaler Ort“ (Victor Ieronim Stoichita), den Helnwein offensichtlich nicht in Anspruch nehmen will. Beinahe abfällig äußert er sich bei dieser Gelegenheit über den Hyperrealismus, mit dem hier wohl der amerikanische Fotorealismus der frühen 1970er Jahre und seine Folgen gemeint sind, wenn er sagt, dass diese Künstler mit Malerei ein Foto so genau kopierten, dass es ausschauen würde wie ein Foto. Abgesehen davon, dass der Fotorealismus stets das eine Auge der Kamera gegen die vielen der Malerei in Stellung gebracht hat: Macht Helnwein es tatsächlich so anders?

Die Ausstellung, die die Albertina dem Künstler nun zum 75. Geburtstag ausgerichtet hat, ist seine vierte Ausstellung im Haus und konzentriert sich mit 43 Werken auf das Schaffen der letzten drei Jahrzehnte. Es sind großformatige Bilder, die, so der schon erwähnte Einführungstext, „von der Auseinandersetzung mit den Themen Schmerz, Verletzung und Gewalt geprägt“ sind. Immer wieder stellt Helnwein die Gewalt an Kindern als einen Fokus seiner Arbeit dar. Eine größere Werkgruppe trägt den Titel The Murmur of the Innocents und weist mit der „Figur des verletzbaren und wehrlosen Kindes, das stellvertretend alle psychologischen und gesellschaftlichen Ängste verkörpert“, ein zentrales Motiv von Helnweins Arbeit auf. Das Kind sieht er als „Metapher für die Menschheit“, allerdings zeigt uns die Ausstellung, dass lediglich dem weiblichen Kind diese Bürde aufgelastet wird. Männliche Kindergeschichten gibt es nur eine, nämlich Helnweins eigene, die zwischen Mickey Mouse und katholischem Ministrantentum von selbstbewussten Entwicklungsschüben getragen ist und mit dem Prozess gegen Franz Murer eine politische Richtung erfährt. Ist er der Held, wird den Mädchen die Rolle der Opfer zugewiesen.

Gottfried Helnwein, Pink Mouse 2, 2016
Courtesy: ALBERTINA, Wien © Gottfried Helnwein | Bildrecht, Wien, 2024

Die Bilder der Serie basieren auf Modellsitzungen mit minderjährigen Mädchen, die stets ähnlich inszeniert werden und Verletzungen an Kopf oder Gliedmaßen aufweisen. Helnwein verrät uns, dass seine Modelle alle 9 Jahre alt sind, also ihre frühe Kindheit und Teile ihrer „Unschuld“ zugunsten eines Entwicklungsschrittes, den Rudolf Steiner als „Rubikon“ bezeichnet hat, hinter sich gelassen haben. Die blutverschmierten und mit Verbänden am Kopf gezeichneten Mädchen sind in Posen erstarrt, dennoch modisch zurechtgemacht. Ort- und zeitlos haben sie keinerlei reale Bezüge, sondern basieren auf inszenierten fotografischen Vorlagen, als wollten sie das Reale quasi ruhigstellen: „To pacify the real“ war eine der Kritiken von Hal Foster am Hyperrealismus, der die Wirklichkeit hinter Oberflächen versiegelt sah und von einer „subterfuge against the real“ sprach.(1)

Die Frage der Realismen, die sich in den 1960er Jahren entwickelte und immer wieder neue Facetten erfahren hat, bietet erfahrungsgesättigte Muster, die immer wieder produktiv gemacht werden können. „Als Zirkulation zwischen Apparat und Staffelei“ (Michel Foucault) haben sich Debatten stets daran entzündet, wie und ob die Realität zu erfassen sei. Die Umsetzung vom Drei- ins Zweidimensionale mittels Vorlagen war für den amerikanischen Fotorealismus ein wichtiges Kriterium, wenn auch der Status der Farbfotografie zu ihrer Zeit der eines Massenprodukts für Amateure war. Helnwein findet seine fotografischen Vorlagen einerseits in Archivaufnahmen der NS-Zeit, bei Mickey Mouse und Manga, andererseits stellt er sie selbst her.

Wie in der Modefotografie sind die Vorlagen für seine Serie Murmur of the Innocents theatralisch arrangiert. Keinesfalls, so erfahren wir, sind es „Schnappschüsse“, sondern es handelt sich um „das Ergebnis sorgfältiger Inszenierung“ (Ausstellungstext). Und wenn für Klaus Albrecht Schröder „der blutige Kindskopf, der tiefe Schatten und das grausame Bett zum Fundus des Schreckens“ geworden sind, die die „Gesamtheit die Bedrohung verstärken“,(2) könnte man dem mit Roland Barthes ein gut inszeniertes Spektakel der Modefotografie entgegensetzen, in der die Welt zum „Dekor, Hintergrund, Schauplatz, kurz zum Theater wird.“(3) Gestylt und mit ähnlichen weißen Kittelchen ausgestattet, sind Helnweins Darstellerinnen dem Typus der „Waifs“ zuzuordnen, mit dem man in der Modewelt Models bezeichnet, die in der Rolle verlorener oder verwahrloster Kinder Sadismus und Voyeurismus bedienen. Heimat- und obdachlos und von allem entfremdet verharren sie im Zustand demonstrativer Gleichgültigkeit und Passivität.(4) Die Mädchen in Helnweins Bildern sind keine Individuen, sondern als posierende Modelle ihrer Identität beraubt, um schließlich allein oder mit anderen Elementen kombiniert im gemalten Bild neu inszeniert zu werden. Wenn diese Bilder nun als ein markanter Beitrag zum Thema Verletzung und Gewalt, zu Schrecken und Grausamkeit verstanden werden sollen, ist dem entgegen zu halten, dass die Modefotografie dieser Thematik immer schon einen Schritt voraus ist und war und in der Allianz zwischen Schönheit und Schrecken, Lust und Tod längst eine Enttabuisierung jeglicher Darstellung von sexualisierten Körpern bis zu sexuellen Obsessionen und Mord aufzuweisen hat.(5) Der Tod ist allerdings auch in der Serie der Innocents enthalten, wenn das Wort „Murmur“ als eine Verballhornung von „Murder“ zu verstehen ist, sich aber mit dem Verweis auf den Kindermord in Bethlehem (Saaltext) schnell wieder auf sicheres Terrain zurückzieht.

Gottfried Helnwein, Epiphany 1 (The Adoration of the Magi 3), 2013
Courtesy: ALBERTINA, Wien | Dauerleihgabe von Gottfried und Renate Helnwein © Gottfried Helnwein | Bildrecht Wien, 2024

Helnwein begleitet seine Kunst in zahlreichen Interviews, wobei er immer wieder dieselben Statements wiederholt. Das scheint das Konzept des Konzeptkünstlers: monolithische Textpakete, die Kritik bereits vorwegnehmen. Sowieso hat Helnweins Werk kaum kunsthistorische Kritik erfahren. Es scheint getragen von Schröders Unterstützung und einem politischen Konsens. Der Bundespräsident gratuliert zum Geburtstag, und anlässlich der Eröffnung der Ausstellung betont Schröder vor der anwesenden Politprominenz der Herren Ludwig, Nehammer und Pröll die Bedeutung des Künstlers. Er weist auch auf die großen Emotionen hin, die das Werk Helnweins auslösen würde, wie Helnwein selbst vom „emotional impact“ der großen Gefühle bis zu Tränen, Zittern und Traumabewältigung spricht. In der Ausstellung war davon allerdings nichts zu bemerken. Es wird viel fotografiert. Foucault als erklärter Fan des Hyperrealismus hätte hier vielleicht sein „Aufdocken auf die endlose Zirkulation der Bilder“ neu orten können.(6)

Was nicht Emotionen hervorruft, läuft in der Ausstellung unter „kritisieren und provozieren“, wie etwa die Serie Epiphany deutlich macht. Für The Adoration of the Magi 3 verwendet Helnwein eine Archivaufnahme, in der Hitler mit seinen Adjutanten dargestellt ist und in der er nun Hitler mit einer Madonna mit Kind ersetzt. In aller Größe werden die Herren in Uniform betont hervorgehoben, und die Madonna gibt ihnen modischen Aufschwung. Sollte die Verwendung nationalsozialistischer Fotografien bereits eine Kritik an Geschichte enthalten? Die Erklärung, die uns Helnwein gibt, ist dürftig. Welche subtile Form der Auseinandersetzung sollte der Austausch von Hitler mit Madonna und Kind darstellen und an wem oder was? Für die katholische Kirche, die sich in Bezug auf die NS-Zeit nicht wenig vorzuwerfen hat? Für die Ultra-Rechten, die sich über die adretten Männer in Uniform im großen Format doch allenfalls freuen können?

Gottfried Helnwein, The Visit 4, 2021-2023
Courtesy: Privatsammlung © Gottfried Helnwein / Bildrecht, Wien 2024

Auf diffizile Weise werden bei Helnwein die Betrachter:innen zum Komplizen. Allerdings scheint ihn seine gute Absicht, mit der er die Gewalt an Kindern kritisiert, vor allen Vorwürfen und Anschuldigungen von Voyeurismus zu schützen. Bezüge zur christlichen Ikonographie mit Pathosformeln oder Accessoires scheinen ihm da zusätzlich eine Nische zu bieten. Im Gegensatz dazu ist der andere Maler der Mädchen, nämlich Balthus, stark und ohne Erbarmen der Kritik ausgesetzt. Auch dessen Werk weist Bezüge zur christlichen Ikonographie auf, wie Balthus etwa sexuelle Lust mit Motiven aus der Passion Christi darstellt und auch andere Anleihen aus der Kunstgeschichte sexualisiert verarbeitet.(7) Jedoch gilt hier ein „Noli me tangere“, indem die Mädchen zwar Voyeurismus propagieren, jedoch keine malträtierten Opfer wie bei Helnwein sind. Dies gilt auch für die Bildpolitik jener Institutionen, Vereine und NGOs, die real gegen die Gewalt an Kindern auftreten. Wenn überhaupt Kinder bildlich vorkommen, dann in aktiver Abwehrhaltung und Verteidigung.

Dass Bilder lähmen und betäuben, stumpf und blind machen, wie wir seit Susan Sonntag immer wieder hören, scheint Helnwein nicht zu betreffen. Mit der vermeintlichen Einzigartigkeit seiner Malerei im großen Format kann er dies wettmachen und bringt dafür den Hyperrealismus, der seine ambivalenten fotografischen Ambitionen zu kaschieren weiß, in Stellung als würde es sich dabei um Historienmalerei handeln. Tatsächlich hat der Fotorealismus Genrebilder nebst Stillleben und keine Historienbilder hervorgebracht, die wie bei Helnwein Geschichte mit Nostalgie und Spektakel gleichsetzen und auch in ihrer äußersten Ästhetisierung keinen Halt im Realen finden.

Wenn nicht anders angegeben, stammen alle Zitate Gottfried Helnweins aus dem Interview mit Elsy Lahner anlässlich der Eröffnung der Ausstellung:

https://www.museumsfernsehen.de/gottfried-helnwein-im-gespraech-mit-elsy-lahner-artist-talk-in-der-albertinawien/-

(1) Hal Foster, The Return of the real, Cambridge (MA) 1996, S. 141.

(2) Klaus Albrecht Schröder, „Gottfried Helnwein oder die Ästhetik der Angst“:
https://www.helnwein.de/texts/international_texts/article_4850-Gottfried-Helnwein-oder-Die-AEsthetik-der-Angst;jsessionid=9AFAA67105C6C4CD38A3212B18943DE7

(3) Roland Barthes, Die Sprache der Mode, Frankfurt am Main 1985, S. 311

(4) Ausführlich bei Christina Segel, Zur Inszenierung des menschlichen Körpers in der Modefotografie, Wien 2010, S. 67 f.: https://core.ac.uk/download/pdf/11591869.pdf

(5) Ausführlich bei Burcu Dogramaci, „Sterben in Schönheit. Zur Inszenierung des Todes in der Modefotografie“, in: Frauen, Kunst, Wissenschaft 40, 2005, S. 37 ff.

(6) Michel Foucault, “Die photogene Malerei“, in: Dits et écrits. Schriften. Bd.2 1970-1975, Frankfurt am Main 1995, S. 875 f.

(7) Siehe Barbara Vinken, „Sie wissen nicht, wie ihnen geschah“, in: Die Zeit, 7.9.2018, Zeit Online: https://www.zeit.de/2018/37/balthus-ausstellung-basel-museum-paedophilie-kunstfreiheit

 





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Postskriptum: Gottfried Helnwein, Gmunden und der Bundespräsident 

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