Ich bin anders, weil ich kann das. Stranger belongs to me

Aziz Hazara, Bow Echo (Film Still), 2019, 5-Kanal-Digitalvideo
Courtesy: der Künstler

Taxispalais Kunsthalle Tirol, Innsbruck, 20.10.2023 bis 21.01.2024

Betritt man die Kunsthalle hört man von Weitem ein mehrstimmiges Tröten im Wind unterlegt mit sphärischen Klängen, ein Geräusch, das zu der Arbeit Bow Echo (deutsch Bogenecho), 2019, von Aziz Hazara im Untergeschoss gehört, ein 5-Kanal-Video. Fünf Jungen stehen auf einem Berg oberhalb von Kabul, jeder auf einen eigenen Screen projiziert. Sie versuchen sich im starken Wind auf den Beinen zu halten und blasen, so fest sie können, in kleine Plastiktrompeten. In Bani Abidis Werk The Song, 2019, wie alle anderen Arbeiten im Erdgeschoss, ringt ein alter Mann mit der Stille und trotzt dieser Geräusche ab, indem er aus Alltagsgegenständen Musikinstrumente baut. Von EsRAP, dem Wiener Hip-Hop-Duo, werden in einem eigenen Raum fünf Musikvideos präsentiert. Die Collagen von Lucas Odahara The Nine Halves Cat (storyboard), 2023, und die Rauminstallation Happy End (With A Certain Sensatio n), von Setareh Shahbazi, 2023, kommen ohne Sound aus und sind eigens für die Ausstellung entstanden. Ich bin anders, weil ich kann das ist die Ausstellung in der Kunsthalle Tirol betitelt, die fünf Werke von fünf Kunstschaffenden zeigt. Es ist dies der abschließende Teil der Taxispalais-Trilogie zu Fragen des Zusammenlebens und darüber, wie Diskurse um mehrfache Zugehörigkeiten in Westeuropa adäquat gedacht und praktiziert werden können.(1) Der erste Teil Gurbette Kalmak / Bleiben in der Fremde (2) betitelt, kuratiert von Gürsoy Doğtaş und Nina Tabassomi, präsentierte künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Thema „Gastarbeiter:innen“ im Westeuropa der 1970er Jahre. Gestaltet von Setareh Shahbazi und Nina Tabassomi untersucht die Wissen (3) im zweiten Teil, ausgehend vom Plural des deutschen Wortes Wissen, die Frage, wie Personen mit mehrfachen Zugehörigkeiten unterschiedliche Formen von Wissen verkörpern, die kontext- und ortsabhängig spezifische Ausformungen erreichen können und wie sich diese Wissensformen in Kunstwerken manifestieren. Die Kunstschaffenden in Ich bin anders, weil ich kann das leben in Berlin und sind außerhalb Europas geboren, nur EsRAP sind Wiener:innen. In allen Arbeiten geht es um Fremdsein und darum, sich einen Ort von Dazugehörigkeit/Heimat zu bauen.

EsRAP & Gasmac Gilmore, Freunde dabei, 2019 Musikvideo, Text: EsRAP, Musik: Gasmac Gilmore Label: SPRINGSTOFF, Video: illuminati films, Ramon Rigoni, Max Berner, 2019, Ausstellungsansicht Ich bin anders, weil ich kann das. Stranger belongs to me, Taxispalais Kunsthalle Tirol
Courtesy: die Künstler_innen, Taxispalais Kunsthalle Tirol 2023, Foto: Günter Kresser

EsRAP & Gasmac Gilmore, OTK (Video Still), 2021, Musikvideo, Text: EsRAP Musik: Gasmac Gilmore Aufnahme und Mix: Testa Master: Buzz Label: SPRINGSTOFF Video: Max Berner 2021
Courtesy: die Künstler:innen

Das Hip-Hop-Duo EsRAP der Geschwister Esra und Enes Özmen ist mit seiner Musik und seinen Videos seit Jahren extrem erfolgreich. Die beiden gehören zur dritten Generation ehemals türkischer Gastarbeiter, die ihre Position in Wien (genauer im 16. Wiener Gemeindebezirk Ottakring) selbstbewusst zur Schau stellen, wenn sie zum Beispiel in einem Waschsalon singen „ich hab Brüder dabei, ich hab Schwestern dabei und du, was hast du? du hast die Polizei“. Auch der Titel der Ausstellung stammt aus einem ihrer Songs. Schauplätze der Videos sind häufig in Ottakring wie die einem Song titelgebende Ottakringer Straße (OTK, 2021). Schauplätze sind u.a. ein türkischer Supermarkt, der Brunnenmarkt im Morgengrauen, Garagen oder eben ein Waschsalon. Für Nina Tabassomi, Direktorin des Taxispalais Kunsthalle Tirol, und für Vazira Fazila-Yacoobali Zamindar, Co-Kuratorin der Ausstellung, ist in dieser Arbeit bereits realisiert, wovon die Ausstellung spricht, nämlich die Möglichkeit mehrfacher Zugehörigkeiten. EsRAP sprechen/singen in verschiedenen Sprachen (meist türkisch oder deutsch), verwenden unterschiedliche musikalische Stile und visuelle Codes und transformieren diese so in ein „Gefühl von Gemeinschaft, die Platz für sehr viele hat, und damit eine verführerische politische Vorstellung für uns alle eröffnet“.(4)

Bani Abidi, The Song (Film Still), 2022, HD-Video aus 4K-Original, in Auftrag gegeben von Film and Video Umbrella, Contemporary Art Society, John Hansard Gallery und Salzburger Kunstverein, unterstützt vom Arts Council England
Courtesy: die Künstlerin

In Bani Abidis The Song, einem Video, das bereits im Salzburger Kunstverein zu sehen war, versucht ein alter Mann, offensichtlich ein Migrant aus dem Mittleren Osten, sich in der fremden Stille zurecht zu finden und seinen eigenen Sound zu kreieren. Der Mann hört den Straßenlärm Berlins auf seinem Balkon, er hört den Muezzin aus einem rosaroten Plastikmoscheewecker, und er fängt langsam an, aus Alltagsgegenständen Lärm/Musikgeräte zu basteln, die tatsächlich von Rie Nakajima, der in London lebenden Soundkünstlerin, speziell für den Film kreiert wurden. Die neuen Geräusche, die diejenigen der Heimat substituieren müssen, helfen dabei die Einsamkeit, die in der Stille besonders drängend wird, zu mildern.

Lucas Odahara, The Nine Halves Cat (storyboard), 2023 Mixed media, Ausstellungsansicht Ich bin anders, weil ich kann das. Stranger belongs to me, in Auftrag gegeben von Taxispalais Kunsthalle Tirol
Courtesy: der Künstler, Taxispalais Kunsthalle Tirol, 2023, Foto: Günter Kresser

Lucas Odahara, The Nine Halves Cat (storyboard) (Detail), 2023 Mixed media, Ausstellungsansicht Ich bin anders, weil ich kann das. Stranger belongs to me, in Auftrag gegeben von Taxispalais Kunsthalle Tirol
Courtesy: der Künstler, Taxispalais Kunsthalle Tirol, 2023, Foto: Günter Kresser

Lucas Odaharas The Nine Halves Cat (storyboard), 2023, beruht auf einem Kinderbuch. In den vielschichtigen Collagen geht es um Roux, eine Mischlingskatze, die eines Tages von den anderen Katzen vermisst wird. Die Katzen suchen sie und fragen überall nach ihr, jedoch beschreiben sie Roux immer mit Eigenschaften ihrer eigenen Identität, die sie „zur Hälfte“ charakterisieren sollen. Sie fragen nach einer halben Siamkatze, halben Angorakatze etc. und scheitern so. Bis sie erkennen, dass Roux alle Merkmale der anderen Katzen zu ihrer ganz eigenen Identität zusammenbringt (5), Roux ist ein Konglomerat aus allen und versteckt sich wie alle Katzen auf dem Baum.

Setareh Shahbazi, Happy End (With A Certain Sensatio n), 2023, Ausstellungsansicht Ich bin anders, weil ich kann das. Stranger belongs to me, in Auftrag gegeben von Taxispalais Kunsthalle Tirol
Courtesy: die Künstlerin, Taxispalais Kunsthalle Tirol, 2023, Foto: Günter Kresser

In einem eigenen Ausstellungsraum findet man Setareh Shahbazis Installation Happy End (With A Certain Sensatio n), 2023. En Face am Ende des Raumes hängt ein goldener Teppich, am Boden mehrere gemusterte Teppiche, Fotos und Drucke an den Wänden. Auf einer Arbeit schaut man durch ein Fenster in einem Flugzeug auf den blauen Himmel, ein Foto zeigt einen Teller mit einem Silberbesteck, auf einer anderen Arbeit begegnen sich zwei Hände, ein Foto einer menschlichen einer künstlichen (künstlerischen), Versatzstücke vom Reisen, Erinnerungen und Begegnungen. Durch den Bogen in einer bemalten Holzwand betritt man den hinteren Raumteil, der eine gewisse Geborgenheit ausstrahlt, aber auch die rohe Konstruktion der Holzwand zum Vorschein bringt. Hier wurde ein Fenster wieder freigelegt, durch das man aus der Galerie hinaus auf den Hof des Taxispalais sehen kann, also einen neuen ungewohnte Ausblick erhält. Eine Metapher dafür, was die Ausstellung als Ganzes erreichen will?

Aziz Hazara, Bow Echo (Detail), 2019, 5-Kanal-Digitalvideo, Ausstellungsansicht Ich bin anders, weil ich kann das. Stranger belongs to me, Taxispalais Kunsthalle Tirol
Courtesy: der Künstler, Taxispalais Kunsthalle Tirol 2023, Foto: Günter Kresser

Trotz widriger Umstände auf den Felsen an der Stadtgrenze von Kabul versuchen die fünf Jungen in der Videoinstallation Bow Echo, 2019, von Aziz Hazara ihren Platz zu behaupten. Sie straucheln wegen des starken Winds und sie kreieren ihren Raum mit den Geräuschen, die sie dem Spielzeug, den Plastikblasinstrumenten, entlocken. Das „Bogenecho“ bezieht sich auf eine Wetterformation, bei der mehrere starke Winde, teilweise in Orkanstärke geografisch einen großen Bogen formen. Auch die Protagonisten in der Installation stehen scheinbar in einem Halbkreis und kreieren ihren Raum, trotz der Stürme, die mit dem Bogenecho einher gehen. Die Zuschauenden, die sie in der Ausstellung beobachten, befinden sich jedoch in unserem Fall weit weg von der Szenerie auf sicherem Boden. Dies ist die einzige Arbeit, in der es anscheinend nicht um Fremdsein in der Fremde geht, jedoch auch wie in den anderen Werken um das Erschaffen eines spezifischen eigenen Raums, der in diesem Fall besonders gefährdet erscheint. Vielleicht geht es hier um Fremdsein im eigenen von politischen Widrigkeiten und ausländischen Interventionen gebeutelten Land.

Der Ausstellungstext bietet wenig Information zum Konzept der Ausstellung, er gibt ganz bewusst keine biografischen Informationen zu den Kunstschaffenden über Herkunft und Aufenthalt, aber er stellt Fragen wie „Welche Praktiken des Dazugehörens würden es uns erlauben, unseren verflochtenen Unterschieden Raum zu geben? Anstatt Angst vor dem Fremden zu haben, könnte es uns nicht gerade ermöglichen, Gemeinschaften und Arten von Zuhause hervorzubringen, die wir für unser Zusammenleben in der Welt benötigen?“(6) Er enthält auch ein Zitat aus Boderlanders: A Political Concept of Repair der Co-Kuratorin Vazira Fazila-Yacoobali Zamindar: „Die Suche nach Wissen erfordert, dass wir den Fremden willkommen heißen und gleichzeitig uns selbst fremd werden, um uns selbst und einander wirklich kennenzulernen.“(7) Es ist wohl kein Zufall, dass Sound und Musik dabei eine große Rolle spielen, können sie doch von Sprachkenntnissen unabhängig sein und eigene emotionale Räume kreieren. Musiker:innen können wie EsRAP verschiedene Sprachen parallel verwenden und zu Identifikationsfiguren werden. Die Ausstellung vereinigt starke Arbeiten, die mit diversen ästhetischen Mitteln sehr unterschiedliche Geschichten von Dazugehörigkeit und Fremde erzählen. Das Schöne an der Ausstellung ist, dass sie sich auf fünf Arbeiten beschränkt und so jede für sich genug Raum hat, um sich voll entfalten zu können. Zudem wird ihnen kein a-priori-Konzept aufgepfropft (wie das immer wieder bei thematischen Gruppenausstellung geschieht), und doch bleibt offen, ob die Arbeiten tatsächlich miteinander in Dialog treten, wie man das von einer Ausstellung erwarten würde. Die vom Ausstellungskonzept beschworene Gemeinschaft wird zwar in EsRAPs Videos zur Schau gestellt und auch Lucas Odaharas Katzen finden zueinander, doch der Mann in Abidis Video bleibt mit seinen Geräuschmaschinen alleine, die Jungen auf dem Berg in Kabul präsentieren sich zwar in der Videoinstallation zu fünft und damit scheinbar in einer Gruppe, sie sind jedoch als Einzelkämpfer jeder auf sich alleine gestellt.

Das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher geografischer und biografischer Hintergründe ist eine Tatsache und eine Bereicherung für unsere Gesellschaften. Die Ausstellung zeigt konkrete künstlerische Auseinandersetzungen – wie Versuchsanordnungen – zum Thema des Umgangs mit Fremdheit.

 

(1)  Vgl. https://www.taxispalais.art/wp-content/uploads/2023/10/Booklet-DE-Ich-bin-anders-weil-ich-kann-das.pdf, letzter Zugriff 09.01.2024

(2)  Vgl. https://www.taxispalais.art/programm/ausstellungen/gurbette-kalmak/, letzter Zugriff 09.01.2024

(3)  Vgl. https://www.taxispalais.art/presse/ausstellungen/die-wissen/, letzter Zugriff 09.01.2024

(4)  Nina Tabassomi in einem Radiobeitrag https://de.cba.media/641290, letzter Zugriff 09.01.2024

(5)  Auf der vorletzten Collage sagt die älteste Katze über Roux: “She might not be an Angora, Bengal, Siamese, Abyssinian, Birman, Sphynx, Bombay, Chartreux or LaPerm cat, but she also might be all of them together.“

(6)  Wie Anm. 1.

(7)  Ebenda.

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Anselm Kiefer in der Wiener Staatsoper