Künstlerinnen der „Textilen Moderne“

Zur Ausstellung Die Frauen der Wiener Werkstätte im Wiener MAK

Ausstellungsansicht Die Frauen der Wiener Werkstätte, MAK 2021
Foto: © MAK/Georg Mayer

Die Ausstellung zeigt die Beiträge der Frauen der Wiener Werkstätte (WW) ohne deren männliche Protagonisten wie Josef Hoffmann, Kolo Moser und all die anderen, die man sich nun allenfalls in der permanenten Sammlung anschauen kann. Vorangegangen war eine umfassende Recherche, die auch in den begleitenden Katalog eingegangen ist: Es werden an die 180 Namen ans Tageslicht befördert, und, soweit möglich, mit Werken verbunden, um so größere oder kleinere Werkkomplexe in den verschiedensten Sparten ausfindig zu machen, die den Anteil der Frauen an der WW ausmachen.

Es ist ein großes Verdienst des Projekts, das Anne-Katrin Rossberg und Elisabeth Schmuttermeier leiten, grundlegende Forschungsarbeit und Bestandsaufnahme geleistet zu haben. Im Rundgang erschließen sich die Aufgabenbereiche und viele Namen. Ähnlich wie es ihre späteren Kolleginnen im Fluxus oder von Art & Language erfahren sollten, brachte das Arbeiten im Kollektiv so mancher Künstlerin den Nachteil, dass der weibliche Part zugunsten des männlichen vernachlässigt wurde. Die Ausstellung geht quasi rekonstruierend vor und bietet weniger den Eindruck einer geschlossenen Sammlung als den eines Archivs. Das Archiv, das bekanntlich nie ein Spiegelbild des Realen sein kann, ist ein beständiges Fehlen, eine Lücke, die Objekte und nicht Subjekte zu Tage befördert, wodurch sich nur bedingt ein Ganzes einstellen kann, wie auch die Präsentation im MAK von der Spannung zwischen den einzelnen Persönlichkeiten und den Anliegen des Kollektivs lebt und Vieles offen lassen muss.

Mizi Friedmann, Feldpost, 1914
Foto: © MAK/Georg Mayer

Die Ausstellung mit einem sehr überzeugenden Display von Claudia Cavallar und Lukas Lederer ist chronologisch geordnet, zeigt uns zusätzlich zu den Objekten von Beginn an in vielen Ankündigungen, Plakaten oder Foldern die Distributions- und Vermarktungsstrategien, die mit Verkaufslokalen oder Werbung eingesetzt wurden. Chronologie und Materialien bestimmen den Aufbau, die Künstlerinnen sind in den Rundgang eingebunden. Ein Großteil studierte an der Kunstgewerbeschule und verfügte über eine vielfältige Tätigkeit, die auf großem handwerklichem Können basierte, wie es generell der Ausrichtung der WW entsprach. Bekannte Namen wie Vally Wieselthier, Maria Likarz-Strauss oder Felice Rix finden sich neben weniger bekannten oder bislang unbekannten. 1910 wurde die Stoff-, 1911 die Modeabteilung gegründet. Die dominante Stoffproduktion macht denn auch neben Exponaten wie Spielzeug, Keramik oder graphischen Arbeiten wie Postkarten den Hauptteil der Ausstellung aus. Dass der Modeteil mit wenigen textilen Exponaten und wenig Modefotografie schwächer ausgestattet ist, mag an fehlender klarer Zuordnung liegen, tut aber der Ausstellung nicht gut.

Das Crossover zwischen autonomer und angewandter Kunst mit dem Impetus einer Neuorientierung der angewandten, besonders der textilen Kunst war zur Zeit der Gründung von Stoff- und Modeabteilung nach wie vor ein virulentes Thema in Europa. Genau in dem Sinne, wie die „Textile Moderne“ (1) neue künstlerische Ansprüche umsetzte, sind die Exponate der Ausstellung zu lesen. Dieser Blick kann sich aber kaum einstellen, wenn man die Künstlerinnen auf die Rolle der Frauen (wie im Titel) und der „Kunstgewerblerin“ einengt, die männlicher Dominanz und Geringschätzung ausgesetzt war. Vielmehr ist es hilfreich, die produktive Schnittstelle, die die europäischen Avantgarden ebenso prägte wie das Kunstgewerbe und die Mode, als Referenz im Auge zu behalten. Vieles war Versuchsanordnung, wenn sich neue Gruppierungen auftaten, wenn die Protagonistinnen, Sonia Delaunay und Sophie Taueber-Arp ihre ersten textilen Arbeiten konzipierten und generell ein „strong decorative feeling“, wie es Roger Fry als Kriterium der Omega Workshops kennzeichnete, das Suchen nach einer strukturellen Basis für textiles Werken kennzeichnete.(2) Hanna Höch etwa forderte, dass, was in der abstrakten Malerei möglich wäre, „in analoger Weise auch für die Stickerei“ möglich sein sollte, ohne die „Stickerei zum Surrogat der Malerei werden zu lassen“.(3) Sonia und Robert Delaunay sprachen von einer in Balance befindlichen Waagschale von Kunst und Mode.

Die Künstlerinnen der WW hatten ebensolche Kompetenzen wie viele ihrer europäischen Kolleginnen. Mit Einschränkungen konnten sie ihre Arbeit publizieren, stellten aus und beteiligten sich an Mappenwerken. Von der Ausbildung her und ihrer Sachkenntnis des Textilen sind sie einer der Protagonistinnen der Moderne, Sophie Taeuber-Arp, die 1914 als Sophie Taeuber die Debschitzschule in München verließ, ebenbürtig. Auch sie war eine Kunstgewerblerin, die dennoch auf Autorenschaft achtete, wenn sie (oft versteckt) ihre Initialen einfügte und die Sprache der Moderne in kunstgewerbliche Arbeiten ausweitete.(4) So ist das als Inkunabel der Moderne geltende Triptychon in Züricher Kunsthaus zunächst als Wandschirm angelegt gewesen. Solche Chancen hatten die WW-Künstlerinnen nicht, deren Arbeiten kommerziell verwertet wurden, dennoch treten sie innerhalb des Kollektivs als Autorinnen auf. Die Pluralität der Stoffentwürfe und Stoffe in der Ausstellung legen zudem die Vermutung nahe, dass dem Individuum viel Raum gegeben war, wenn auch „nur“ der ornamentale Rapport dessen Austragungsort ist. Er ist aber stets eine originäre Schöpfung wie man sie aus der autonomen Kunst kennt, wenngleich diese in der Wiederholung und Mechanik des Rapports vervielfacht wird.

Maria Likarz-Straus, Irland, 1910–13
Foto: © MAK/Georg Mayer

Mit der neuen Stoff-und Modeabteilung hatte sich auch innerhalb der WW Einiges verändert. Die Zeit der schwarzweißen Streifen, Linien, Quadrate und Dreiecke waren um 1900 bestimmend, nun aber ebenso wie die großen Posen um das Künstlerkleid und dessen selbstbewusste Inszenierung im Sinne des Reformkleides vorbei. Das auf einen Entwurf von Hoffmann zurückgehende Redoutenkleid von 1910, ein durchbrochenes schwarzweißes Kleid mit großen flächig angelegten Mustern, geht noch in diese Richtung. In dieser Hinsicht ist auch ein Vergleich mit Emilie Flöge, Geschäftsinhaberin, Designerin und Model, interessant, die einen völlig anderen Zugang zu Ornament und textiler Gestaltung hatte als die Künstlerinnen der WW. Flöges Reformkleider setzten sich mit dem Künstlerkleid der Jahrhundertwende auseinander, wo Flächigkeit und ornamentale Verflechtung wichtige Kriterien waren. Das Ornament ist bei Flöge Fragment oder Versatzstück, das sie aus anderen Zusammenhängen isolierte.(5) Wie in Klimts Bildern war es von einem Umriss bestimmt. Es konnte den schwarz-weißen Geometrien von Hoffmann oder Moser folgen oder aber aus volkstümlichen Textilien hergeleitet sein. Das legendäre, vom Wien Museum rekonstruierte weiße Kleid, das Flöge in einem Foto von Madame d‘Ora selbst vorführt, weist im vorderen Teil ein schwarzweißes Ornament in Dreiecksformen auf und führt damit die Moderne in einer Montage in ein Kleid ein, das ohne diesen Einsatz zwar auch ein modisches Reformkleid wäre, aber keine Allianzen mit der Kunst aufzuweisen hätte.

Ausstellungsansicht Die Frauen der Wiener Werkstätte, MAK 2021
Foto: © MAK/Georg Mayer

Bildhafter und textil bestimmter gehen die Frauen der WW an das Ornament heran. Gerne wüsste man mehr über ihre Vorbilder. Mit der Verbindung von Schule und Museum, die zwar 1909 gelöst wurde, war neben einem großen theoretischen Wissen auch die Sammlung als Referenz gegeben. Zusätzlich war das Ornament mit der beginnenden Abstraktion verbunden, die es abermals mit der Moderne zusammenführte. Besonders die ersten Jahre bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs zeigen viele interessante Beispiele wie der Stoff „Karst“ von Mizi Friedmann, der wie viele Beispiele eine Spannung zwischen Titel und Komposition aufbaut. Friedmanns Entwurf „Feldpost“, der ein Kriegsthema textil umsetzt, wiederum könnte man formal mit den gleichzeitigen Bildern von Fernand Léger in Zusammenhang bringen. „Kahlenberg“ von Martha Alber scheint sich mit Malerei auseinandergesetzt zu haben, und Felice Rix schafft mit „Archibald“ eine wegweisende minimalistische Komposition. Eine Paraphrase auf die Moderne ist „Irland“ von Maria Likarz-Strauss, ein Stoff, der im Katalog mit Delaunay verglichen wird. Allerdings ist in der reduzierten Farbgebung, in seinen harten Diagonalen, seinen Schnitten und vor allem seiner Raumandeutung kaum eine Parallele zu den kreisenden bunten Formen von Sonia Delaunays fließenden Farbkompositionen gegeben. Deren erste textile Arbeiten waren aus Stoffresten gefertigt mit der Intention, in ihrer strukturellen Anordnung den Kubismus evozieren. Hier könnte auch die Parallele zu Likarz-Strauss liegen, die im Stoff eine quasi kubistische Raumsplitterung umsetzt. Mehr strukturelle Ähnlichkeiten als zu Delaunay könnte man hingegen im Stoffentwurf „Maud“ von Vanessa Bell sehen, die wohl ebenso wenig purer Zufall sind wie die Tatsache, dass beide Stoffe als Besatz einer weißen Bluse ähnlich verwendet wurden.

Individuelle Schöpfungen gegen die Ansprüche im Kollektiv? Interessanterweise haben Künstler wie Johannes Schwaiger, der mit Hilfe der Firma Backhausen einen Stoff von Likarz-Strauss nachgebaut hat, oder Verena Dengler, die konkret Werke von Likarz-Strauss und Camilla Birke zitiert, immer schon das einzelne Werk gesucht. Insofern wäre es nun in einem weiteren Schritt spannend, das eine oder andere Oeuvre zusammen zu fügen wie es in der Ausstellung die Stoffe von Likarz-Strauss oder Rix oder die Keramiken um Vally Wieselthier bereits zeigen. Wenn im Katalog allerdings die Stoffe im Hoffmannschen Quadrat kleinteilig und nach Farbmustern geordnet zu Bildseiten zusammengefasst sind, widerspricht dies gehörig dem aufklärerischen Anspruch des Projektes und führt uns wieder an den Anfang zurück.

  1. Vgl. Burcu Dogramaci, Textile Moderne: Einleitende Überlegungen, in: Dogramaci (Hg.), Textile Moderne, Köln 2019, S.9 ff.

  2. Zit. nach Ina Ewers-Schultz, Crossover zwischen Textilien und Malerei um 1914 am Beispiel von August Macke und der Omega-Künstlerinnen Vanessa Bell, Duncan Grant und Roger Fry, in: ebenda, S. 246.

  3. Zit. nach Dogramaci, Anm. 1, S. 9.

  4. Vgl. Medea Hoch, Unstete Staffelungen. Sophie Taeuber-Arps Werk im Spannungsfeld der Gattungen, https://www.degruyter.com/document/doi/10.14361/9783839409671-005/html

  5. Annette Tietenberg, Strukturprinzipien der Moderne: Die Textilsammlungen von Bertha Pappenheim und Emilie Flöge, in: Drogamaci, S.157 ff.

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Ich beharre ja auf Schönheit. Auch als politisches Konzept.