OLAFUR panoni: dellbrück

Ausstellungsansicht
Foto: Markus Wörgötter, Courtesy: Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Eine Ausstellung von Manfred Pernice in der Galerie nächst St. Stephan, Wien, 26.01. bis 25.03.2023

Sucht man die Ausstellung von Manfred Pernice in der Dependance der Galerie nächst St. Stephan in der Domgasse in Wien, findet man dort eine von OLAFUR panoni, dellbrück genannt, die sich dann doch als die gesuchte herausstellt. Schon hier beim Künstlernamen beginnt also das Rätselraten, auf das man sich einlässt, wenn man die Ausstellung besucht. Wer ist Panoni? Und warum das Pseudonym? Hängt es mit der pannonischen Tiefebene zusammen, an dessen Rand Wien liegt?

Manfred Pernice stellte 2010 im Salzburger Kunstverein aus, 2010/11 in der Secession Wien, unterrichtete an der Akademie der Bildenden Künste Wien und an der Internationalen Sommerakademie Salzburg. Er ist also in Österreich schon lange immer wieder präsent, schön, dass wir endlich wieder in Wien die Gelegenheit haben, eine aktuelle Ausstellung zu sehen.

dellbrück2, 2023, 2-teilig
Foto: Markus Wörgötter, Courtesy: Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

In dem kleinen Raum spielt der Künstler um einen mittigen Tisch mit drei Stühlen sein in den letzten Jahren entwickeltes skulpturales Formenrepertoire durch, das durch eine ihm eigenartige Poesie gekennzeichnet ist. Sie entsteht durch die „armen“ Materialien, die spezifischen glänzenden und matten Farben, hier hellblau, orange und braun, und durch das scheinbar beiläufige Arrangieren der Gegenstände im Raum. So finden sich mehrere zylindrische Skulpturen unterschiedlicher Höhe, vier davon sehr niedrig und mit Scheinwerfern ausgestattet (Grenzraum), eine höhere rotbraune „posten“ Sauerland, eine schwarz glänzende Sztorm. Dazu kommen zwei Sets, das Linda benannte Hocker-Set, drei kubische Formen zu einem kühlschrankartigen Turm übereinander gestellt, und das zweiteilige Set dellbrück2, eine hellblaue zylindrische Form und eine niedrige schwarze kubische Form, zu der der laute Staubsaugerroboter, der während der Ausstellung durch den Raum fährt, gehört. An den Wänden hängen die Reliefs Ersatz und Ersatz (Baustelle) mit Keramikapplikationen und aufgeklebten Zitaten aus dem Heeresgeschichtlichen Museum in Wien (u.a. „Tatwaffe des Zwischenfalls von Schattendorf am 30. Jänner 1927“ „Türkische Kalenderuhr aus der Schlacht von St. Gotthard“, „Ehrensäbel für den Feldmarschall Radetzky nach dem Entwurf des Architekten Eduard van der Nüll“). Schräg am Fenster lehnt die „Stange“ panoni (ein Alter Ego des Künstlers?) mit drei „Fühlern“ aus dem Fenster schauend. Bücher, Broschüren und Zeitungsausschnitte sind den jeweiligen Skulpturen zugeordnet, sie kleben daran, haben eigene Fächer, in die sie am Ende der Schau wieder feinsäuberlich verpackt werden, liegen oder stehen auf ihnen. Wandmalereien und Fotostrecken an den Wänden widmen sich der Stadt Delbrück, mit seinem Zentrum aus Fachwerkhäusern – an einem dieser Fotos der Fachwerkhäuser ist ein Schild angebracht mit dem Wort „Sztorm“ (ein polnisches Wort für Seesturm), nach dem eine der Skulpturen benannt ist –, einer Bücke oder dem Hochsauerland. Eine weitere Serie zeigt VW Busse, rot grün und gelb, in der Nähe des Grenzraums.

Ausstellungsansicht, beim Fenster: Stange panoni, 2023
Foto: Markus Wörgötter, Courtesy: Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Ein enges Geflecht an Bedeutungshinweisen und -möglichkeiten durchzieht die Ausstellung, jedes Buch ist einer Skulptur zugeordnet, dessen Name sich auch darauf bezieht, das Linda-Set hat seinen Namen von der darauf stehenden Handwaschcreme, ein applizierter Zeitungsausschnitt mit dem Titel Reparatur und Sperrmüll verhandelt Mietrechtsfragen, zu den vier Grenzraumzylindern gehören eine Broschüre des österreichischen Bundesheers zum Jugoslawienkrieg und eine Frisbee-Scheibe, mit der man vielleicht eine bewachte Grenze spielerisch überwinden könnte.

Wie häufig bei den Arbeiten von Manfred Pernice sind die Grenzen zwischen Alltagsgegenstand, Inneneinrichtung und Skulptur fließend. Perspektiven eröffnen sich unter anderem auf das österreichische Bundesheer und die Jugoslawienkrise 1991, auf Delbrück (mit einem l), einen Vorort von Köln, auf das Hochsauerland (Jahrbuch Hochsauerlandreise) und auf Lemberg in der Ukraine (mit dem Buch Lemberg k. u. k. Sehnsuchtsort und Weltstadt in Galizien), Mietrechtsfragen oder alte VW Busse.

Ersatz (Baustelle), 2023
Foto: Markus Wörgötter, Courtesy: Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Auch die Besuchenden werden zum integralen Bestandteil der Ausstellung, sie setzen sich an den Tisch, blättern in den Büchern, werden vom nervig lauten Staubsaugerroboter „beobachtet“ und umkreist und von Scheinwerfern des Grenzraums irritiert. Alles, was auf den ersten Blick zufällig wirken könnte, – Bücher, kleine Gegenstände, die auf den Skulpturen stehen – hat seinen jeweils genau definierten Platz. Jedoch erst die Besuchenden aktivieren die vielen Verknüpfungen und Zusammenhänge, die in der Ausstellung bei genauerer Beschäftigung zu finden sind. Wie diese die einzelnen Hinweise auf Militär, Krieg, Städte (Delbrück) und Regionen (Sauerland) zusammenfügen, determiniert deren jeweiliges Verständnis für die Ausstellung. Wenn Pernice von dem „Herstellen oder Behaupten von einer Bezogenheit einer Arbeit“(1) spricht, meint er, meiner Ansicht nach, genau diese assoziative Bezogenheit auf unterschiedliche Themenfelder, die die Exponate aufmachen.

Je nachdem, in welche Richtung man sich treiben lässt, öffnen sich zum Beispiel Verbindungslinien zu Josef Graf Radetzky, dem bedeutendsten österreichischen Feldherrn in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, nach dem ein berühmter Marsch von Johann Strauß Vater benannt ist und dessen Säbel vom Architekten van der Nüll designt wurde. Van der Nüll erbaute (gemeinsam mit August Sicard von Sicardsburg) die Wiener Staatsoper und nahm sich wegen heftiger Kritik am Bauwerk das Leben. „Schattendorf“ wiederum bezieht sich auf die Schüsse von Schattendorf 1927 bei einer Auseinandersetzung zwischen Schutzbund und Heimwehr in eben diesem Ort im Burgenland, in dessen Folge schließlich der Justizpalastbrand in Wien im selben Jahr stand. Diese Hinweise auf Etiquetten kleben auf einer alten weißen Spanplatte mit angenagelten grauen u.a. halbrunden und runden Keramikteilen, die handwerklich aufwändig hergestellt, doch wie ein Fundstück wirkt und den Titel Ersatz (Baustelle) trägt (Ersatz – ein typisch deutsches Wort, das es in manchen Sprachen gar nicht gibt – für ein Fundstück, das nicht gefunden wurde? Ersatz für das Heeresgeschichtliche Museum in Wien, aus dem die Zitate stammen?).

Ausstellungsansicht
Foto: Markus Wörgötter, Courtesy: Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder

Der nachhaltigste Eindruck, den diese Ausstellung bei mir hinterlässt, sind die vielen Verweise auf Krieg, auf den Jugoslawienkrieg, auf einen Feldherrn des 19. Jahrhunderts, auf das österreichische Bundesheer und dessen museale Darstellung, auf die k. u. k. Monarchie, die bis Galizien und Lemberg reichte, wo derzeit Krieg herrscht … Die vier leuchtenden „Dosen“ (Grenzgebiet) und der aggressive Staubsaugerroboter verstärken diesen Eindruck noch gravierend.

Zentral für die Rezeption ist, dass man sich als Besucher:in einen Ort in der Ausstellung suchen kann, an dem man sich niederlässt, der einem die Chance eröffnet, sich eingehend mit ihr auseinanderzusetzen. Ich versuchte, die verschiedenen Hinweise zusammenzubringen, verlor mich in Assoziationen und freute mich an der Ästhetik, die schäbig und brillant zugleich ist. Was es mit der Delle und der Brücke auf sich haben könnte, kann man im Übrigen im Ausstellungstext von Vanessa Joan Müller nachlesen.(2)

1. Manfred Pernice, Tutti IV, Ausstellungskatalog Haus der Kunst München, Köln 2016, S. 5.

2. https://www.schwarzwaelder.at/de/exhibitions/manfred-pernice-2023, Zugriff 17.02.2023

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Sophie Thun