Weltschmelz

Anna Meyer im Gespräch mit Hildegund Amanshauser über ihre Arbeit im Rahmen des Projekts Serpentine, A Touch of Heaven (and Hell), Großglockner Hochalpenstraße 2020 bis 2022

Serpentine. A Touch of Heaven(and Hell)(1), kuratiert von Michael Zinganel, präsentiert temporäre Interventionen entlang der Großglockner Hochalpenstraße von Iris Andraschek & Hubert Lobnig, Thomas Hörl & Peter Kozek, Ralo Mayer, Anna Meyer und Hannes Zebedin. Alle Projekte entstanden speziell für diese Ausstellung und befassen sich mit der Landschaft, der Straße und damit verbundenen Themen wie Klimawandel, Tourismus, Automobilität etc.

Anna Meyer führt diese Auseinandersetzung in Ölbildern auf Aluminium, die sie als drei große Billboards und zwölf kleinere Gemälde in die vorhandene Werbe- und Vermittlungsstruktur durch Schau- und Reklametafeln entlang der Straße integriert. Eine Praxis, die sie schon länger verfolgt, so z.B. in einem Projekt im Porschehof Salzburg 1999/2000 oder in der Stadt Basel 2001 und 2004. Ergänzend zu den Interventionen entlang der Straße finden zwei Ausstellungen statt. Eine ist 2021 im Museum Moderner Kunst in Klagenfurt zu sehen. Sie zeigt gemeinsam mit Arbeiten der Kunstschaffenden von Serpentine das Bild Großglockner von der Adlersruhe I von Markus Pernhaupt von 1860.

Hildegund Amanshauser: Unser Gespräch handelt von deiner Arbeit Weltschmelz, die im Rahmen von Serpentine. A Touch of Heaven (and Hell) auf der Großglockner Hochalpenstraße, kuratiert von Michael Zinganel, entstanden ist.

Du schaffst es, in dieser Arbeit sehr viele Ebenen wie die Landschaft, die Straße, den Klimawandel, Feminismus, Tourismus anzusprechen, ohne dass die Arbeit überfrachtet wirkt. Das fasziniert mich, daher möchte ich in diesem Gespräch herausfinden, was dahintersteht. Landschaft ist ja nie einfach nur Landschaft, sie hat immer auch etwas mit unserem kulturalisierten Blick zu tun. Geht es hier also einerseits um die Landschaft und den Blick auf sie, ist es andererseits der Verkehrsweg, der die Landschaft erschließt. Er hat die Landschaft erst massentauglich und für Viele zugänglich gemacht. So wie die Semmeringbahn den Semmering in der Mitte des 19. Jahrhunderts, so hat die Glocknerstrasse in den 1930er Jahren den Glockner befahrbar gemacht und mit der Straßenführung auch unseren Blick generiert.

Anna Meyer: Das ist auch die Krux an der Sache. Vor der Straße waren es die Wander*innen, die den Weg in die Berge auf dieses eher abgelegene Dach der Welt gemacht haben. Perverser wurde es natürlich als der vorwiegend motorisierte Verkehr dazu kam. Das Hochperverse am Großglockner ist, was da in der Hochsaison abgeht. Da sind tatsächlich Staus am Berg. Die Menschen kommen mit ihren Rennwägen, Oldtimern und extrem vielen unterschiedlichen Fahrzeugen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich habe die Glocknerstraße aber auch ganz ohne Leute erlebt, wenn es ruhig war und urschön. Ich wollte diese vielen Ebenen in den Bildern haben, kein Fingerzeig, sondern mit Widersprüchen gedacht.

HA: Eine ganz wichtige Ebene – und die wird am Großglockner aufs Dramatischte deutlich – ist der Klimawandel und die Umweltzerstörung, die man an der Pasterze – dem größten Gletscher Österreichs (2) – fast überdeutlich sieht.

AM: Ja diese Wunde, es wurde jedes Mal, wenn ich dort war, schlimmer. Auch der schneereiche Winter hat gar nichts genutzt, es ist noch schlimmer geworden. In dieses Thema habe ich mich richtig reingearbeitet. 

Eines Tages, während der Vorbereitung, haben wir mit einem Fernrohr den Gletscher betrachtet und in die Gletschermühlen, in die Formationen, dort wo der Gletscher verschwindet, geschaut. Man merkt einfach sehr eindrücklich, dass man in etwas Uraltes sieht, du hast das Gefühl, ein Dinosaurier spaziert da gleich vorbei. Man schaut tausende Jahre zurück. Durch diese Wunde wird der Blick in die Vergangenheit freigelegt. Das war total beeindruckend, ich habe wirklich eine Gänsehaut gekriegt. Da fragst du dich: Was machen wir da? Was passiert da gerade? Die Formationen dort erinnerten mich auch an Geschlechtsteile und so bin ich auf das Wort „PlanetToo“, also von „MeToo“ zu PlanetToo gekommen.

HA: Du hast in deinem Projekt sowohl die drei riesigen Billboards aufgestellt als dich auch in die vielen Informationspulte quasi „hineingeschlichen“. Dort wird die Landschaft und andere Themen erklärt, Themen, die für die Besucher*innen interessant sein sollen. Wie hast du die künstlerischen Entscheidungen getroffen, welche Motive nimmst du und wo wird was aufgestellt?

AM: Wir sind um zu recherchieren herumgefahren mit Zeichnungsblock und Kamera. Es war eine Kombination aus Zeichnen, Schreiben und Fotografieren. In dieser Phase treffe ich noch keine Entscheidungen, ich hatte zwar schon Ideen, aber die Pulte sind flexibel, die kann man an unterschiedliche Orte stellen. Ich zeichne also und schreibe, manchmal füge ich auch Zitate ein ... Da dreh ich dann ein Kippenberger-Zitat um: Er sagt: Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen, und ich mache daraus: Ich kann beim schlechtesten Willen überall welche erkennen (Abbildung 2), weil im Schnee so hakige Formen zu sehen waren, die ich dann ein bisschen verstärkt habe. Die Ideen sind mir beim Recherchieren zugeflogen. Bei der Pasterze sowieso, da war immer klar, da wird es mehrere Bilder geben. In den Zeichnungen stehen dann viele Texte. Notizen und Zeichnungen sind ein großes bewegliches Grundschuttlager, und daraus fokussieren sich die Bilder beim Malen, aber Vieles lass ich dann wieder weg.

HA: Schrift und Bild: Du schaust dir die Landschaft an und hast schon Assoziationen zu bestimmten Blicken, die du zeichnest und fotografierst und wie entscheidest du, was auf welches Bild kommt?

AM: Im Zeichnen entscheidet sich sehr viel. Die Landschaft hat die Bilder schon in sich, das muss ich nur aufgreifen.

HA: Auf einem Bild der Pasterze steht „Ehre meine Vulva, denn da kommst du her.“ (Abbildung 3). Wie kommst du vom Gletscher auf die Vulva?

AM: Im Rahmen meines Projekts Future Feminismus habe ich mich viel mit dem Bild von Gustave Courbet Der Ursprung der Welt / l’Origine du Monde beschäftigt. Ich denke, deshalb kam es mir auch beim Gletscher in den Sinn. Die Maler in der Zeit von Courbet haben die Landschaft auf die eine oder andere Art auch als Frau gesehen, die man erobern kann und dieser Aspekt war mir wichtig. Future Feminismus und meine Aufarbeitung der Kunstgeschichte kamen mir bei dieser Arbeit extrem zugute.

HA: Warum arbeitest du mit Ölmalerei, dieser Jahrhunderte alten Technik, im öffentlichen Raum?

AM: Ja Ölmalerei ist die Urform, Ölfarben sind tiefer und halten besser als Acrylfarben. Die Bilder sind übrigens auf Aluminium-Platten.

HA: Es ist interessant, was das Wetter mit den Bildern macht, sie waren ja schon eine Saison draußen, sie sind ausgebleicht ...

AM: Ja das sind sie und es ist auch ein Schmutzfilm drauf. Ich habe sie vor der Eröffnung in diesem Jahr mit Leinöl abgewaschen, da kommt die Farbe wieder hervor, mehr als man denkt. Bei wirklichen Verletzungen male ich etwas nach.

HA: Kommen wir noch einmal auf „PlanetToo“ zurück.

AM: Der Planet leidet unter dem Klima, der Mensch vergeht sich am Planeten. Ich habe als Beispiel den Gletscher und die Landschaft da oben genommen, weil man da die Spuren am Gletscher sehr deutlich sieht. Und dann gab’s diese Verschneidung mit der Landschaftsmalerei des romantisierenden 19. Jahrhunderts, die ja, wie die Ausstellung in Klagenfurt gerade zeigt, auch schon den Großglockner zum Sujet hatte. Diese Maler sind in gewisser Weise meine Vorläufer ... Mich hat interessiert, was der romantische Blick mit der Landschaft macht. Landschaftsmalerei ist ja ganz ein heikles Thema, weil das echt brüchig ist, hat es mich so interessiert. In Österreich ist das extrem heikel, weil man gleich in die Ecke „Heimat, Blut und Boden, Nationalsozialismus“ gestellt wird. Ich dachte aber, das wäre jetzt meine Gelegenheit, doch zu probieren, ob es auch anders geht. Ob ich die Landschaftsmalerei in die Zeit heute drehen kann und kritisch bleiben kann. Nicht moralisch, aber doch eminent politisch.

HA: Ich versuche zusammenzufassen: Du malst die Landschaft des Großglockners, damit stellst du dich in die Tradition von Markus Pernhart, das als Referenzpunkt derzeit im Museum Moderner Kunst in Klagenfurt die Ausstellung dort bestimmt. Dein Billboard Operation am offenen Gletscher (Abbildung 1) bezieht sich auch direkt auf dieses Bild, verwendet denselben Blickpunkt und ebenso die Ansammlung von Menschen auf einer Sattelhöhe. Deine Farben jedoch sind viel knalliger und deinen Gipfel umkreisen zwei Hubschrauber, die dem Gletscher eine Schutzmaske überziehen wollen. Somit wird aus der Landschaft, die ursprünglich von Bergsteiger*innen und in deren Gefolge von den Künstler*innen erobert wurde, die bedrohte Landschaft, die gerettet werden muss. Ein weiteres Bild Klima Kinder (Abbildung 4) bezieht sich auch auf Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts, hier zitierst du Caspar David Friedrich und stellst seinem Wanderer im Nebelmeer von 1818 gegenwärtige Klimaaktivist*innen zur Seite. Du machst also einen „Kurzschluss“ bei dem zwei Jahrhunderte in deinen Bildern zusammengeschlossen und kondensiert werden, die Landschaftsmalerei des 19. Jahrhunderts mit dem Kampf gegen die Klimakrise heute. Deren Ursachen sind vielfältig, sie liegen aber auch in Bauten wie der Großglockner Hochalpenstraße, einem Bau, der den motorisierten Massentourismus in die Alpenlandschaft beflügelte. 

Man könnte meinen, deine Bilder sind in ihrer Komplexität eine gewisse Überforderung, indem du Vieles wie Feminismus und Corona, Umweltzerstörung und Landschaftsmalerei miteinander verbindest. Wie siehst Du das?

AM: Klar kann man das sagen, aber ich glaube, wenn man vor den Bildern steht oder sie als Foto sieht, versteht man sie auf die eine oder andere Art und Weise. Es gibt einfach auch Dinge zu sehen, die unaussprechbar sind, die nicht in Worte zu fassen sind, deshalb male ich ja. Es gibt diese Themen, die wir jetzt besprechen, aber es gibt noch ganz viel anderes und das verschmilzt ineinander. Dieses Amalgam, das bewirkt dann, dass du über die Augen in diese verschiedenen Ebenen kommst, die eben unaussprechbar sein können, weil es keine Worte dafür gibt. Ich stelle mir vor, dass so die Rezeption funktionieren könnte.

HA: Was ich extrem faszinierend finde, ist diese Wucht deiner Bilder in Kombination mit der Wucht dieser Landschaft, das macht ja tatsächlich was mit den Betrachter*innen. Allein die Landschaft ist schon überwältigend, aber deine Bilder sind zusätzlich einerseits Irritation andererseits so was wie eine Verdoppelung oder eine Kulturalisierung über das Ölbild. 

AM: Es ist wie eine Hyperüberhöhung. Diese Übertreibung ist auch aus dieser Landschaft heraus passiert, weil sie so gewaltig ist. Und ich wollte es doch kritisch halten, das war wirklich schwierig. Für mich ist es letztendlich aufgegangen. Vielleicht denke ich in zehn Jahren anders darüber, aber jetzt erscheint es mir so, dass es aufgegangen ist, was ich da zusammenbringen wollte.

HA: Humor, Ironie, Sarkasmus: Welche Rolle spielen sie? 

AM: Zynismus ist es nicht, Freude am lustig sein, Humor und Ironie schon. Das sind wichtige Momente für mich und auch ein bisschen Provokation. Durch die Herausforderung der Provokation kommen die Leute ins Denken. Das ist auch der trashige Moment. Die starken Farben sind für mich die Farben der Gegenwart, die Farben der Bildschirme, dieses Leuchten, das Brennen unter den Augen. Also auch das Gefährliche.

  1. https://tracingspaces.net/heavenandhell/

  2. https://www.alpenverein.at/portal/news/2021/2021_04_09_unaufhaltsamer-rueckgang-daten-aus-dem-aktuellen-gletscherbericht.php (Aufruf 3.8.2021) Der Alpenverein berichtet, dass der Gletscher 2019/20 52,5 Meter Länge einbüßte und dass die Gletscherzunge insgesamt zerfällt.

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