Ashley Hans Scheirl
Ashley Hans Scheirl, Neoliberal Surrealist, 2019
Foto: Johannes Stoll, Belvedere, Wien © Ashley Hans Scheirl
In & Out of Painting*
Belvedere 21, 19.09.2025 bis 02.02.2026
Aufgrund seiner Übersichtlichkeit, allerdings ohne den weiteren Foucaultschen Folgerungen, könnte man das Obergeschoß des Belvedere 21 mit einem Panoptikum vergleichen, dessen Räumlichkeiten anhaltende Rundumblicke freigeben. Dies wusste schon Werner Hofmann, der Gründungsdirektor des Hauses, das damals Museum des 20. Jahrhunderts hieß, zu nutzen. Freischwebend wirkende Hängewände waren ehedem so installiert, dass sie stets Durchblicke auf das Gegenüber und die beiden anderen Seiten, auf Querverweise und Zusammenhänge ermöglichten, auch wenn sich dadurch mitunter Anfang und Ende relativierten. Ähnliche Überlegungen müssen auch Ashley Hans Scheirl geleitet haben, die in ihrer Personale In & Out of Painting* Werkkomplexe seit den 1970er-Jahren als bühnentaugliches All-Over inszeniert. Ein von Fülle geprägter Zustand permanenter Sichtbarkeit scheint uns polyphon zu umgarnen, innerhalb dessen der Erzählstrom nie abreißt. Der Unterschied zum aktuellen Museumsbetrieb im Stockwerk darunter könnte nicht größer sein. Scheirl stellt den White Cube in Frage, neutralisiert ihn bisweilen ebenso wie sie ihn neu aufbaut und aktualisiert.
Ausstellungsansicht Ashley Hans Scheirl. In & Out of Painting*, Belvedere 21, Wien 2025
Foto: Johannes Stoll, Belvedere, Wien
Innerhalb einzelner Sektionen, die Werkkomplexe bezeichnen ohne sie chronologisch einzuengen, ragen auffallend gelb gestaltete Tafeln wie Wegweiser heraus, die einleitende Texte und Werkbeschriftungen zur Ausstellung enthalten. Zur ersten Station mit dem Motto „Schau mir in die Augen“ gelangt man mittels einer Markierung am Boden, die die aus dem Stiegenhaus bzw. dem Lift – zu Zeiten von Hofmann war dies ja alles offen – kommenden Besucher:innen bewusst aus dem Dunklen in den sich öffnenden Raum leitet und von ihnen fortan eine Entscheidung zwischen einzelnen Exponaten und der Sicht auf das Spektakel des Raums abverlangt. Das Auge mit all seinen Facetten von Sehen, Blicken oder Anblicken ruft die Betrachter:innen dezidiert auf den Plan – ohne Betrachter:innen schließlich kein Bild –, die oft ein Gegenüber in der bildhaften Darstellung von Scheirl selbst finden werden. Allerdings, so wird man in der Ausstellung wiederholt bemerken, hat sich das Auge verselbstständigt, ist quasi sein eigenes Bild geworden und dies ganz im Sinne von Georges Bataille, wenn es Abgründe erkundet und in seiner Vereinzelung unheimlich, wenn nicht bedrohlich wirkt. Auch andere Körperteile haben sich vom Ganzen gelöst, wenn sie Diskursen von Identität, Geschlecht und Sexualität folgen. Bisweilen sind sie in Räume voller Farbe und Formen eingebunden, die von einer Malerei zeugen, die oft dem Performativen und Filmischen nahe ist.
Ashley Hans Scheirl in der Ausstellung Ashley Hans Scheirl. In & Out of Painting*, Belvedere 21, Wien 2025
Foto: eSeL.at - Lorenz Seidler
Steht die Ausstellung, wie Texte und Videos auf der Homepage des Belvedere deutlich machen, ganz im Zeichen der Malerei, worauf Kurator Sergey Harutoonian, der mit Assistenzkuratorin Andrea Kopranovic die Ausstellung als erste umfassende Gesamtschau Scheirls verantwortet, wiederholt hinweist, ist dennoch von Skepsis und Grenzüberschreitung die Rede. Scheirl selbst will der Frage „Wie ist mein Verhältnis zur Malerei“ nachgehen. Zunächst allerdings sind es das Display mit Einbauten oder Farbfeldern, sind es Textarbeiten, Fotografien, Videos oder Objekte, die die Malerei quasi überformen und eine Vorstellung von Raum generieren, die keinen Gesetzen der Malerei unterliegt, auch wenn diese als Zitat und Referenz ständig präsent ist. Als Gesamtes hat Scheirl einen quasi filmisch motivierten Illusionsraum geschaffen, der sich mit seiner Diskursivität, seiner Infragestellung von normativen Werten oder seiner Eigenschaft, Unvereinbares an einem Ort zu zeigen, als exemplarische Heterotypie ausweist, wie sie Foucault am „Kreuzungspunkt von Alterität und Differenz“ gesehen hat.(1)
Gewiss sind die Bilder die großen Player der Ausstellung, sind aber in ihrer Inszenierung im Raum mit Schrägstellungen und Kippbewegungen sowie in ihrer Anordnung als fortlaufende Sequenzen dem Gesamten der Präsentation untergeordnet. Wenn so viel von den Grenzen der Malerei die Rede ist, ist es dennoch nicht die Malerei selbst, sondern das Bild als Objekt, das nun traditionelle Grenzen übertritt. In ihrer dynamischen Anordnung heben die Bilder bisweilen Nähe und Ferne auf und kommen einem nahe, als würden sie aktiv und blickten zurück. Diesem „Zurückblicken“ hat Georges Didi-Huberman seinen Text Was wir sehen blickt uns an gewidmet, wo er sich prinzipiell mit der Frage von Sichtbarkeit und deren Gegenteil auseinandersetzt. Das, was im Bild im Dunkeln, wenn nicht im Unbestimmten oder Leeren bleibt, so eine seiner Thesen, verschafft Öffnung und ist nicht rein visuell zu verstehen.(2)
Ausstellungsansicht Ashley Hans Scheirl. In & Out of Painting*, Belvedere 21, Wien 2025
Foto: Johannes Stoll, Belvedere, Wien
In Scheirls Bildern finden wir neben konkreten dominant ins Bild gesetzten Objekten oft größere und kleinere Formationen ohne semantische Zuordnung, die allein Material und Farbe kennzeichnen. Weitläufige Hintergründe sind meist blau oder pink. Sie sind nicht-mimetisch und lassen Assoziationen freien Lauf. Und wenn für die Charakterisierung von Scheirls Arbeit öfters das Wort „fluid“, ins Spiel gebracht wird, könnte man es allenfalls hier lokalisieren. Bisweilen kommen Gestalten oder Fragmente von Körpern vor und natürlich Scheirl selbst, die trotz oft skurriler Kostümierung dann nicht nur als Autorin, sondern auch als Zeugin ihrer Bildinhalte aufscheint.
Im einleitenden Text zur Ausstellung werden diese als „Satire auf das inzwischen surreal anmutende neoliberale Wirtschaftssystem“ gesehen, die „mit bissigem Humor die soziale Konstruktion von Gender, Sexualität und Macht mitbehandelt“. Erratische Objekte wie das goldene Ei sind Beispiele dafür: dominant im Bild verankert und ebenso Figur wie Referent eines Diskurses. Sie folgen Gesetzen von Repräsentation, die Abwesenheit einkalkuliert, in etwa so wie der König und die Königin in Las Meninas von Diego Velázquez, die abwesend und anwesend und in der Logik des Bildes vor diesem situiert sind. Betrachter:innen der Bilder Scheirls sind ebenso auf die eine oder andere Weise in das Geschehen eingebunden.
Warum muss Neoliberal Surrealist alias Ashley Hans Scheirl ihr Verhältnis zur Malerei klären und dafür alle möglichen „Pendelbewegungen“(Ashley Hans Scheirl) andenken, wo ihre Malerei doch ebenso in deren Geschichte wie in deren Mitte fest eingeschrieben ist? Die Ähnlichkeit zur „Pfeife“ von René Magritte als Abgleich von Bild und Sprache, die schwebenden Zeichen von Paul Klee und die abstrakten Linien und Formen von Wassily Kandinsky sind ebenso implizit vorhanden wie sie neu interpretiert werden. Bleibt noch der Seziertisch mit der Nähmaschine und dem Regenschirm, den die Surrealisten ob seiner Schönheit, seines Zufalls und seines Witzes liebten. Jedes Bild braucht vermutlich einen Halt: Designelemente schaffen bisweilen Verbindungen oder bilden Sockel aus, wenn größere räumliche Zuordnungen ungewiss bleiben. In Neoliberal Surrealist steht Scheirl auf einer Art deformiertem Planeten. Alles ist Malerei und wird von einer dicken Wolke hinterfangen. Stechend wie Blut sah Didi-Huberman das Bündel roter Fäden in Jan Vermeers Spitzenklöpplerin. Es ist ein Störfaktor im Bild, wie im Neoliberal Surrealist der gelbe Strahl, der aus Scheirls Körper auf die Weltkugel trifft: Material und Technik der Malerei weiß er in Bezug auf Mimesis und Ähnlichkeit souverän auszuloten.
(1) Vgl. die kritische Übersicht bei Evelyn Fränzl, „Andere Orte. Mit Foucault das Museum denken.“ – Das Museum als Heterotopie, Wien 2014, S. 24.
https://services.phaidra.univie.ac.at/api/object/o:1312951/get
(2) Sybille Krämer, „Gibt es ‚masslose Bilder‘?“, zit, nach (S.30): https://edoc.bbaw.de/opus4-bbaw/frontdoor/deliver/index/docId/1856/file/05_Kraemer_Masslose_Bilder.pdf
(3) Vgl. dazu Eske Schlüters, Alles kann ein Bild von allem sein; Wien 2021, S.104.