Der Deutsche und der Spanische Pavillon, Biennale Venedig 2022

Maria Eichhorn, „Relocating a Structure“, Deutscher Pavillon, Kurator Yilmaz Dziewior
Ignazi Aballí, „Corrección“, Spanischer Pavillon, Kuratorin Beja Espejo

Maria Eichhorn, Relocating a Structure, Deutscher Pavillon 2022, Detail: Fundament der Gebäuderückwand von 1909; Nahtstelle zwischen den Gebäudeteilen von 1909 und von 1938; Gebäuderückwand von 1909, Innenwand von 1938, 1964 abgerissen; Wandbeschriftungen; Durchgang von 1909 zum rechten Nebenraum, 1912 zugemauert; Untersuchung von Putzschichten; Durchgang von 1909 zum rechten Nebenraum, 1912 zugemauert, 1928 geöffnet, 1938 zugemauert. Ausstellungsansicht © Maria Eichhorn / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Jens Ziehe

Besucht man einen Ausstellungsraum zum wiederholten Mal, können sich die Erinnerungen an vergangene Ausstellungen mit der aktuellen Wahrnehmung überlagern. In Räumen, die man gut kennt, können daher Geschichte und Gegenwart verschmelzen. Vor allem dann, wenn diese für eine weitere Ausstellung (fast) leer bleiben, werden die Bilder der Vergangenheit besonders greifbar. So auch in den beiden nationalen Pavillons von Deutschland und Spanien 2022 auf der Biennale in Venedig. Beide Ausstellungen befassen sich mit der jeweiligen Architektur und der dort repräsentierten Geschichte und der im Laufe der mehr als 100 Jahre intendierten Selbstdarstellung der jeweiligen Nation.

Maria Eichhorn, Relocating a Structure, Deutscher Pavillon 2022, Detail: Fundament der Gebäuderückwand von 1909; Gebäuderückwand von 1909, Innenwand von 1938, 1964 abgerissen; Wandbeschriftung; Kamin eines früheren Gebäudes (undatiert); Durchgang von 1909 zum rechten Nebenraum, 1912 zugemauert. Ausstellungsansicht © Maria Eichhorn / VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Jens Ziehe

Deutscher Pavillon
Beginnen wir mit dem älteren Pavillon, dem deutschen, der 1909 auf Initiative der Münchner Secession als Bayerischer Pavillon vom venezianischen Architekten Daniele Donghi im Stil eines „zierliche[n] Historismus“(1) errichtet wurde. 1912 zogen sich die Bayern zurück und der Deutsche Pavillon war geboren. Alle paar Jahre wurden von nun an Veränderungen am Pavillon geplant, ab und zu auch realisiert. 1938 fand die prägendste Umgestaltung durch Ernst Haiger statt, der den Pavillon zu einer „NS-Architekturikone“(2) machte. „Mit wenigen Mitteln schaffte es Ernst Haiger 1938, der mit Troost [Paul Troost, dem Erbauer des Hauses der Kunst in München] befreundet und bei der Innenraumgestaltung des Hauses der Deutschen Kunst beteiligt war, diese Prinzipien in Venedig im kleinen Maßstab zur Geltung zu bringen.“(3) Erst 1943 wurde der Bau Eigentum Deutschlands, ähnlich wie fast alle anderen Nationenpavillons, die den jeweiligen Staaten gehören. Zahlreiche Pläne zu einer weiteren Umgestaltung des Pavillons nach dem 2. Weltkrieg blieben unrealisiert.(4) Seit 1998 steht das Gebäude nun unter italienischem Denkmalschutz und ist damit vor Veränderungen „geschützt“.
Maria Eichhorns ursprüngliche Idee, den Pavillon für die Dauer der Ausstellung abzutragen und woanders aufzubauen, um ihn danach wieder am ursprünglichen Ort aufzustellen, konnte schon aus finanziellen Gründen nicht realisiert werden. Was die Besucher*innen nun zu sehen bekommen, ist das Ergebnis einer minutiösen Recherche der Geschichte des Hauses. Wie eine Archäologin hat die Künstlerin jeder baulichen Veränderung nachgespürt und deren Reste und Spuren offengelegt. Der Boden ist aufgegraben, man sieht die Fundamente verschiedener Bauphasen, der Putz an den Wänden ist teilweise abgeschlagen, um die Spuren früherer Türen, Fenster und abgehängter Decken freizulegen. Die Aufgrabungen im Boden sind mit Gittern absturzgesichert, ansonsten streift man durch leere Räume, versucht sich frühere Bauphasen vorzustellen und erinnert sich an das, was man hier schon gesehen hat. Winzige Beschriftungen entdeckt man erst nach genauem Hinsehen, sie sind mit Schablonen mit weißer Farbe auch weißem Grund, mit Bleistiftstrichen umrandet, aufgetragen. Pierre Nora schreibt: „Die Geschichte ist die stets problematische und unvollständige Rekonstruktion dessen, was nicht mehr ist. Das Gedächtnis ist ein stets aktuelles Phänomen, eine in ewiger Gegenwart erlebte Bindung, die Geschichte hingegen eine Repräsentation der Vergangenheit.“(5) Man könnte mit Nora behaupten, dass Maria Eichhorn im deutschen Pavillon die Spuren der Geschichte, die so eng mit der des Nationalsozialismus verwoben ist, präsentiert und damit versucht, ihre Rechercheergebnisse in unserem Gedächtnis zu verankern. 

Mit der Kooperation mit dem Istituto Veneziano per la storia della Resistenza e della società contemporanea (Iveser) und den Stadtführungen zu Orten des Widerstandes gegen die NS Diktatur in den Jahren der deutschen Besatzung von 1943 bis 1945 greift die Ausstellung zugleich in die Stadt aus und stellt die Verbindung zu der heute vom Massentourismus geplagten Lagunenstadt her. Der Katalog zur Ausstellung stellt ein Standardwerk dar, das die Geschichte des Pavillons minutiös recherchiert darlegt.

Ignazi Aballí, Corrección, 2022, Installationsansicht Spanischer Pavillon
Courtesy: AECID, Foto: Claudio Franzini

Spanischer Pavillon
Ignazi Aballís Konzept beruht auf einer Analyse der Architektur des Spanischen Pavillons, genauer gesagt, auf der Thematisierung seiner Nachbarschaft mit dem Belgischen. Dem Künstler fiel auf, dass der Spanische Pavillon nicht in der Achse mit dem als ersten Nationenpavillon 1907 in den Giardini erbauten Belgischen, sondern anders als der Niederländische auf der anderen Seite, um zehn Grad gedreht ist, sodass die beiden Pavillons fast zusammenstoßen.
Der Spanische Pavillon wurde 1922 vom Architekten Javier de Luque erbaut und 1952 von Joaquín Vaquero Palacios grundlegend umgestaltet. Er feiert also dieses Jahr sein 100-jähriges Bestehen, das Innere ist seit 60 Jahren gleich geblieben. Durch den Eingang in einer schlichten Ziegelfassade betritt man den symmetrischen Bau, dessen Räume sich um einen zentralen Mittelraum, wie um ein Atrium, gruppieren. Zunächst stellt sich der Raum vollkommen leer dar, doch langsam erkennen die Besucher*innen, dass eine zweite Wandstruktur in den Pavillon eingebaut ist.
Der Grundriss wurde um zehn Grad gedreht und damit ein Pavillon im Pavillon errichtet, dessen Wände man an einem kälteren weißen Anstrich erkennt. Mit der neuen Ausrichtung würde der Spanische Pavillon nun in einer Achse mit den Nachbarn stehen, eine Intervention, die freilich außen nicht sichtbar ist. In der Überfülle der Ausstellungen rundherum stellt dieser Pavillon eine Oase der Ruhe dar. Die ironische Geste der „Korrektur“, so der Titel der Ausstellung, lässt einen verharren. Vielleicht erinnert man sich dabei an andere Ausstellungen im selben Raum, zum Beispiel an Santiago Sierras Pavillon von 2003, der den vorderen Eingang zugemauert hatte und die Besucher*innen zum Hintereingang schickte, wo schließlich nur Besitzer*innen von spanischen Pässen eingelassen wurden. Ignazi Aballí verbindet seine Ausstellung, genauso wie Maria Eichhorn, mit Stadtspaziergängen, zu denen er die Besucher*innen auffordert. Mit einem Plan, den man im Pavillon erhält, kann man sich auf die Suche nach sechs kleinen Publikationen begeben, die man an bestimmten, im Plan angegeben wenig touristischen Orten findet. Diese befassen sich mit unterschiedlichen Themen wie Horizonte, Panoramen, Landschaften etc.

Ignazi Aballí, Corrección, 2022, Installationsansicht Spanischer Pavillon
Courtesy: AECID, Foto: Claudio Franzini

Beide Ausstellungen beschäftigen sich mit dem Bau, in dem sie sich befinden. Sie erweitern zugleich auch ihren Radius und thematisieren so das Verhältnis des Pavillons und damit auch der Biennale zur Stadt. Wurde die Biennale Ende des 19. Jahrhunderts gegründet, um den Tourismus anzukurbeln, ist sie heute zwar noch ein Garant für Qualitätstourismus, allerdings zeigen sich vor allem bei den Eröffnungstagen der Biennale (und sicherlich auch im Hochsommer) die Belastbarkeitsgrenzen sowohl der Ausstellungen als auch und in erster Linie der Stadt. Eichhorn und Abbalí geben den Besucher*innen die Gelegenheit, neue Orte und Viertel zu erforschen. So führt Eichhorn die Besucher*innen an Orte des Widerstands, die wahrscheinlich nur sehr wenige Besucher*innen bereits kennen und Aballí schickt sie auf Schnitzeljagd in weniger frequentierte Stadtteile, eine Methode, die Menschen zu Ab- und Umwegen motiviert, die beste Möglichkeit, Neues in der Stadt zu entdecken.

Gerade angesichts der großen Fülle der Exponate und der üppigen Ästhetik der Hauptausstellung wie vieler nationaler Pavillons wirken die beiden hier besprochenen Ausstellungen (fast) leer. Sie verlangen Zeit und die Bereitschaft, sich auf die Geschichte(n), die erzählt werden, einzulassen. „Leere“ Ausstellungsräume stehen in einer langen und vielfältigen Tradition. Nie jedoch sind die Ausstellungen zumindest von ihrer Intention her tatsächlich leer, manchmal jedoch sind sie unsichtbar. Sind es bei Yves Klein unsichtbaren Kunstwerke und „bildliche Sensibilität“ oder bei Stanley Brown der Regen kosmischer Strahlen (6), so ist es bei Maria Eichhorn die Geschichte, die sich an den offen gelegten Spuren der Bauphasen ablesen lassen und bei Aballí die Thematisierung der Situierung des Bauwerks in seiner Umgebung und dessen Korrektur, die auch bei genauerer Beschäftigung Hinweise auf die Geschichte des Faschismus und Kolonialismus beinhaltet. Letztere ist in vielen Pavillons der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts präsent.

  1. Yilmaz Dziewior (Hg): Relocating a Structure, Katalog Deutscher Pavillon 2022, 59. Internationale Kunstausstellung La Biennale di Venezia, Köln 2022 S. 279

  2. Ebenda S. 277

  3. Ebenda S. 277

  4. Ebenda S. 278

  5. Pierre Nora: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Berlin 1990, S.13

  6. Zur Geschichte leerer Ausstellungen siehe Mike Brennan: The eloquence of absence: omission, extraction and invisibility in contemporary art http://www.modernedition.com/art-articles/absence-in-art/empty-art-gallery-shows.html

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Ich versuche mit meinen Ausstellungen eine Art von Storytelling

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Für und wider die Konstellation