Einstand in Albertina und Kunsthalle
Ausstellungsansicht Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991 mit Charlotte Johannesson, Untitled, 1981–85, Kunsthalle Wien 2025, Courtesy der Künstlerin, Hollybush Gardens, London, und Croy Nielsen, Wien, Foto: kunst-dokumentation.com
„Win-win-Situationen“ können sehr verschieden aussehen. Als eine solche bezeichnete der neue Albertina-Direktor Ralph Gleis etwa die neue Zusammenarbeit mit der deutschen Sammlung Viehof, auf die das Haus nun zehn Jahre Zugriff hat. Erstmals wird nun in Ergänzung zur Sammlung Essl eine Auswahl unter dem Titel Remix in der Albertina Modern gezeigt, in der die „großen“ Namen des Kunstmarkts, unter anderem Georg Baselitz, Sigmar Polke und Gerhard Richter, nebeneinander aufgereiht werden. „Wem nützt es?“ fragte Die Presse in einer Ausstellungsbesprechung (10.4.2025) und kritisierte das „langweilige Namedropping“, wie es sich bereits im Untertitel „Von Gerhard Richter bis Katharina Grosse“ ankündigt. Was etwa Richter und seine fotografischen Reprints der Bilder der 1960er Jahre betrifft, die im ersten Saal geschlossen gezeigt werden, ist augenfällig, wie sehr der Künstler seine immer wieder von Benjamin Buchloh hervorgehobene subversive Praxis längst verspielt hat.(1) Auch Polkes Antiästhetik wirkt in dieser Präsentation bisweilen banal, wie überhaupt Künstler:innen, deren Positionierung in den Neo-Avantgarden unbestritten ist, hier jegliche Diskursivität genommen wird. Ist dies also das erste Statement von Gleis zur zeitgenössischen Kunst in der Albertina Modern oder das Erbe seines Vorgängers? Will Gleis das Haus nach wie vor als „Österreichs neues Museum für moderne und zeitgenössische Kunst von Weltrang“, wie es seit seiner Gründung heißt, positionieren?
Ausstellungsansicht Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991, v. l. n. r.: Ulla Wiggen, Oändligt variabel, 1968, T&C Sammlung; Deborah Remington, Merthyr, 1966, Centre national des arts plastiques (Frankreich); Miriam Schapiro, The Palace at 3:00 AM or Meander, 1971, Courtesy der Künstlerin und Eric Firestone Gallery; Sonya Rapoport, Shoe-Field installation, 1983–89, Courtesy Nachlass von Sonya Rapoport, Kunsthalle Wien 2025, Foto: kunst-dokumentation.com, © Bildrecht, Wien 2025
Ihre erste Themenausstellung hat auch Michelle Cotton, die seit 2024 die Kunsthalle Wien leitet, eröffnet. Im Unterschied zur angekündigten Beforschung der Sammlung Viehof, die erst in der Albertina erfolgen wird, ist Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991 eine umfangreiche Recherche vorausgegangen. Die Ausstellung, so der Pressetext, spannt einen Bogen von den ersten Werken, die in akademischen oder industriellen Computerlaboren entstanden sind, bis hin zu Arbeiten auf den ersten Heimcomputern in den letzten Jahren vor Einführung des Internets. Der Computer wird dabei sowohl als Tool verstanden als er auch zum Thema gemacht wird bzw. von Künstlerinnen genutzt wird, die computergestützt mit algorithmischen oder Mathematik-basierten Systemen arbeiteten. Die etwa 30 Jahre umfassende Ausstellung zeigt mit über 50 Künstlerinnen Pionierinnen, die Cotton auch als Parallele zur sogenannten zweiten Welle des Feminismus ortet.
Es ist eine sehr sorgfältige museale Präsentation, und es ist das große Verdienst von Cotton, dass sie im Haus quasi „aufgeräumt“ hat, es neu und übersichtlicher geordnet und ihm eine klare Struktur gegeben hat. Eingangs kann man über Entwicklungsstränge von Computern und deren Protagonistinnen umfangreich Kenntnis erhalten, bevor man die Ausstellung auf zwei Ebenen betritt. Überraschend ist der schwierige Ausstellungsraum im ersten Stock, der so manche vorangegangene Ausstellung quasi „erschlagen“ hat, nun aber mit Reduktion und kluger Aufteilung in seiner Dominanz zurückgenommen ist. Obwohl eine Fülle an unterschiedlichen Werken in unterschiedlichen Medien wie Malerei und Skulptur, Installation, Film, Performance und zahlreichen computergenerierte Zeichnungen und Texte gezeigt werden, reißt der Zusammenhang der zentralen Fragestellung nicht ab und bleibt lebendig.
Katalogcover Ri-Materializzazione del Linguaggio / Re-Materialisierung der Sprache. 1978-2022, herausgegeben von Cristiana Perrella, Andrea Viliani mit Vittoria Pavesi, NERO Editions 2024
Die Ausstellung beinhaltet etliche Künstlerinnen, wie Agnes Denes, Lily Greenham, Liliane Lijn, Hanne Darboven, Alison Knowles, Miriam Schapiro oder Charlotte Johannesson, die in den letzten Jahren auch in anderen Zusammenhängen zu sehen waren und fügt so dem weiten Spektrum von konkreter oder visueller Poesie, Lyrik, konzeptueller Musik oder Lautpoesie, das semiotisch, strukturalistisch und vor allem feministisch ausgerichtet war, einen wichtigen Aspekt hinzu. Erst kürzlich hat die Bozener Fondazione Antonio Dalle Nogare den Katalog Ri-Materializzazione del Linguaggio 1978 – 2022 präsentiert, der die gleichnamige Ausstellung von 2022 dokumentiert. Diese basierte auf der legendären Ausstellung Materializzazione del Linguaggio in den Magazzini del Sale anlässlich der Biennale von Venedig 1978, die die Künstlerin, Dichterin und Kuratorin Mirella Bentivoglio mit 80 internationalen, in der Mehrzahl aber italienischen Künstlerinnen konzipiert hatte. Eine der Künstlerinnen, nämlich die in Hollabrunn gebürtige Greta Schödl, die später nach Bologna übersiedelte, war in diesem Frühjahr bei Phileas zu sehen. Auch Agnes Denes (geb.1931), die sich früh mit Computer in Zusammenhang mit wissenschaftlichen und ökologischen Fragen auseinandersetzte, wäre hier zu nennen. Jahrelang hat sich auch der Badische Kunstverein in Karlsruhe dieses Themas angenommen, wodurch sich spannende aktuelle und gedankliche Überschneidungen ergeben.
Etwa war dort 2024 Lily Greenham (1924-2001) eine Personale ausgerichtet worden. Die in Wien geborene Sängerin und Komponistin, die durch Op Art oder Sound Poetry bekannt wurde und in den 1950er Jahren Kontakt zur Wiener Gruppe hatte, musste 1938 nach Kopenhagen flüchten und lebte später in London. In der Kunsthalle ist nun die Arbeit Homecomputer Graphics von 1982 zu sehen. Greenhams Werk ist multidisziplinär und experimentell. Ab 1982 arbeitete sie mit einem Personal Computer, mit dem sie, so der Werktext, eine Vielzahl von Techniken anwandte: „vom Programmieren von Algorithmen bis hin zum Collagieren und Kombinieren von Bildern auf dem Fotokopierer.“
Ausstellungsansicht Radical Software: Women, Art & Computing 1960–1991, Kunsthalle Wien 2025, Foto: kunst-dokumentation.com
Liliane Lijn (geb. 1939) stellt in der Kunsthalle mit Man is Naked eine ihrer ersten Arbeiten der Poem Machines aus, die von einer Verbindung von Licht, Bewegung und Text bestimmt sind. Derzeit ist der Künstlerin eine umfassende Personale im mumok gleich nebenan gewidmet. Dort wären auch Arbeiten von Alison Knowles (geb.1933), Miriam Schapiro (1923-2015) oder Hanne Darboven (1941-2009) zu finden gewesen, zumal sich eine Version der in der Kunsthalle gezeigten Arbeit Ein Jahrhundert im mumok befindet.
Charlotte Johannesson (geb. 1943), die als Weberin ausgebildet ist, verbindet in ihrer künstlerischen Praxis die handwerkliche Technologie des Webstuhls mit der digitalen Technologie der Computerprogrammierung. Ab den späten 1970er Jahren hat sie ihre Teppiche mittels eines Computers generiert, wie sie selbst beschreibt: „Der Computer hatte 239 Pixel auf der horizontalen Seite und 191 Pixel auf der vertikalen. Das entsprach in etwa dem, was ich auch auf dem Webstuhl hatte, mit dem ich arbeitete. Ich verwendete also die gleichen Maße.“ (Werktext). 2022 konnte man Johannessons umfangreiches Werk in einer Ausstellung im Badischen Kunstverein Karlsruhe kennenlernen.
Nora Turato, Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa!!!!!!, Kunsthalle Wien 2024, Courtesy die Künstlerin, Foto: Iris Ranzinger
Ergänzend zu den historischen Arbeiten und diese quasi kommentierend könnte man Nora Turatos 62 Meter langes Wandbild Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa! verstehen, das in den Vitrinen an der südwestlichen Außenwand der Kunsthalle zu finden ist und einen Schrei simuliert, also lautstark noch einmal das Thema aufgreift.