Willem Oorebeek, Obstakles

Wiels Brüssel, 01.02. bis 07.04.2025

Willem Oorebeek, Vertical Club, 1994–2025, Ausstellungsansicht Willem Oorebeek, Obstakles, Wiels Brüssel 2025
Foto: © We Document Art

Fotografien prägen unsere Wahrnehmung von Wirklichkeit und verstellen zugleich das Verständnis dafür, was wir als Realität bezeichnen würden. Fotografien haben nämlich das Potential, an die Stelle der Realität zu treten. Dieses Paradoxon steht im Zentrum von Willem Oorebeeks Arbeit, dem eine große Ausstellung im Wiels(1) in Brüssel gewidmet war. Die hervorragend installierte Retrospektive zeichnete das künstlerische Schaffen des in Brüssel lebenden Künstlers, der Jahrzehnte als Lehrer gearbeitet hat, anhand unterschiedlicher Werkgruppen nach. Obstakles war eine Ausstellung, die sich Bildpolitiken widmete und damit beschäftigte, wie gedruckte Bilder „funktionieren“, was sie in uns, den Betrachter:innen auslösen, auf der Ebene der Wahrnehmung, aber auch der Analyse, immer „auf der Suche nach dem Verständnis des Bildes“.(2)

Allen Arbeiten gemeinsam war, dass sie Bilder von Menschen in Drucksorten zum Ausgangspunkt haben. Oorebeek arbeitet mit gefundenen Bildern aus Druckwerken, Zeitschriften, Zeitungen, Werbung, Einladungskarten, Inseraten oder Plakaten, die er mithilfe von Lithografie und Digitaldruck reproduziert, vervielfältigt, transformiert oder auch, wie der Künstler es nennt, „auslöscht“. In einer Zeit, in der die gedruckten Bilder zunehmend von Bildern und Kurzvideos in den unterschiedlichen sozialen Medien überlagert werden, hat diese Ausstellung nicht nur einen medienpolitischen, sondern fast so etwas wie einen medienarchäologischen Aspekt.

Courtesy: Willem Oorebeek

The Vertical Club war in den 1980-er Jahren ein angesagtes Fitnesscenter in New York, wo Prominente und andere Sportbegeisterte 24 Stunden am Tag trainieren konnten. Der Titel von Oorebeeks vielteiliger, von 1994 bis 2025 entstandener Arbeit Vertical Club wurde davon inspiriert. Sie begrüßte die Besucher:innen am Anfang der Ausstellung Obstakles und konfrontierte sie mit 20 lebensgroßen und ganzfigurigen Porträts in Schwarzweiß auf zwei langen gegenüberliegenden Wänden. Unterschiedliche Personenkreise sind dabei präsent: Künstler wie Luc Tuymans, Hélio Oiticica oder Chéri Samba, der Modedesigner Alexander McQueen, die Wetterfrau Christa Kummer vom österreichischen Fernsehen, ein Azubi (in Österreich Lehrling genannt) oder die deutsche Politikerin Aygül Özkan. Jede Arbeit beinhaltet einen Titel (meist den Namen der abgebildeten Person), eine Liste der Publikationen und Ausstellungen, in denen das Werk präsentiert wurde, und den „Vertical Club Status“ direkt auf die Arbeit gedruckt. Unter dieser Überschrift lesen wir zum Beispiel beim Bild des belgischen Künstlers Luc Tuymans, einer Fotografie des Künstlers auf dem Titelblatt des Bozar Magazine vom März 2011:

„Leaving aside for a moment the issue of judgement on the work as an artist to the Vertical Club, it must be stated that there are many candidate artist pictures all for different reasons.

The relevant image, however, is neither intended as work of art nor as a reflection on a specific issue concerning art. It is an image of itself in the full sense of what the event intends to make happen: the confirmation of the status of the artist in every possible respect.

Admittance to the Vertical Club therefore would cause the author a considerable mental problem, if not a headache.

Diagnosis forthcoming.”

Vertical Club konstruiert eine Typologie stehender Figuren, die den Betrachtenden direkt gegenübertreten, ihnen in die Augen schauen und doch durch den im Bild integrierten Text und die wiederholte Reproduktion überlagert werden. Die Bilder beziehen sich nicht bzw. nur sehr mittelbar auf die abgebildeten Personen selbst, ihr Bildgegenstand und Thema sind vielmehr ein Druckwerk und der Kontext, den dieses erzeugt. Im Fall von Luc Tuymans das Titelblatt einer Kunstzeitschrift, das „die Bestätigung des Status des Künstlers“ zum Ausdruck bringt. Das Cover von Bozar zeigt den gesellschaftlichen Status und wie dieser in der Körperhaltung des Künstlers, vor einem nicht näher definierten Gemälde, mit schwarzem Anzug und T-Shirt, seiner linken Hand am Gürtel, den Zeigefinger im Bund verschwindend zum Ausdruck kommt. Im begleitenden Text wird der Aspekt der Ironie, ein wesentliches, immer wieder aufblitzendes Kennzeichen dieser Ausstellung, deutlich, in diesem Fall gegenüber einem Künstlerkollegen.

Ausstellungsansicht Willem Oorebeek, Obstakles, Wiels Brüssel 2025
Foto: © We Document Art

Ausstellungsansicht Willem Oorebeek, Obstakles, Wiels Brüssel 2025
Foto: © We Document Art

Im nächsten Raum sah man zunächst en face zwei komplementäre ornamentale Arbeiten direkt auf die Wand gemalt, einmal eine weiße Fläche in der Mitte, die der Rapport freilässt, einmal ein Rechteck aus denselben Ornamenten in etwa in der Größe der weißen Fläche auf der angrenzenden Wand. Drehte man sich um, war es ein Blick zurück in doppelter Hinsicht, hingen da nämlich ältere Arbeiten dicht an dicht auf der gesamten Wand, darunter Werke, die sich mit Zeichen, Rapport und Wiederholung befassten, wie eine Lithographie einer Lithographie aus dem 19. Jahrhundert mit drei Wiederholungen eines laufenden Keilers (Tierscheibe Keiler, 1991), die als Zielscheibe für Schießübungen gedient hatte.

Oorebeek verwendet nicht nur Drucksorten aller möglichen Quellen als Ausgangspunkt seiner Bildfindungen, er bedient sich auch selbst verschiedener Drucktechniken. Die Lithographie als Urform des Offsetdrucks ist lange Jahre sein bevorzugtes Medium, das später auch mit Digitaldruck ergänzt wird. Der anschließende Raum war der Serie von Blackouts gewidmet: Abbildungen von Personen, die Oorebeek mit schwarzer Farbe überdruckt hat. BLACKOUT Love & Sorrow vereinigt 34 Covers von Paris Match, der französischen Zeitschrift, die Woche für Woche das die vorangegangene Woche prägende Ereignis auf dem Titelblatt verewigte, von 2000 bis 2012, die schwarz überdruckt sind. Die weiteren Blackouts sind in zwei Gruppen nach Geschlecht sortiert, Männer und Frauen, gespeist aus den Drucksorten aus Oorebeeks Archiv, das der Künstler seit vielen Jahren angelegt hat. Diese nur mit Mühe zu entziffernden Porträts sind geprägt von der Spannung zwischen Auslöschen und Bewahren des Bildes. Die unter der schwarzen Farbe liegenden Abbildungen erkennt man schlecht, manchmal nur, wenn man sich im richtigen Winkel zur Arbeit positioniert, so dass der Glanz der Farbe nicht mehr so stark reflektiert und damit das darunter liegende Bild freigibt. Wenn Auslöschen durch schwarzes Überdrucken hier auch ein Bewahren bedeutet, so führen die zugrunde liegenden Drucksorten eine komplementäre Methode vor Augen, nämlich den Bedeutungsverlust durch tausendfache Vervielfältigung. Die Medien löschen die Bilder durch unendliche Wiederholung aus, in Oorebeeks Arbeiten werden sie wieder zum einzelnen Bild, dieses aber zugleich nahezu unsichtbar.

Ausstellungsansicht Willem Oorebeek, Obstakles, Wiels Brüssel 2025
Foto: © We Document Art

Willem Oorebeek und Joëlle Tuerlinckx: BILD, oder, 2004–2025, Ausstellungsansicht Willem Oorebeek, Obstakles, Wiels Brüssel 2025
Foto: © We Document Art

Im nächsten Stock fand sich die größte Arbeit der Ausstellung, eine Kooperation mit der belgischen Künstlerin Joëlle Tuerlinckx: BILD, oder, 2004–2025, die die beiden Kunstschaffenden mehrmals gezeigt hatten. Ausgangspunkt waren ihre beiden Archive, die auf bodennahen Tischen oder Podesten solange von Oorebeek und Tuerlinckx abwechselnd ausgelegt wurden, bis die Aussagen der Archivalien des/der anderen „neutralisiert“ waren. Diesmal wurde die Arbeit von Tuerlinckx alleine installiert, die daraus so etwas wie eine Hommage an Willem Oorebeek und sein Archiv gestaltete, darunter auch ein Ankündigungsposter „Bild oder? [mit dem Schriftzug der Bildzeitung] ‚In search for an understanding of the nature of the image‘ Do 30.10.03 – 14:30u RAUM“. Die Faszination der Arbeit BILD, oder liegt in der Vielfalt der Archivalien und ihrer Kombination und wie durch die Präsentation immer wieder neue Lesbarkeit und Lesarten entstehen. Sie macht sich aber auch über ein bekanntes Dilemma von Ausstellungen lustig, das immer dann entsteht, wenn viele Exponate waagrecht auf Tischen oder in Vitrinen präsentiert werden. Meist sind die Tische und Vitrinen so niedrig, dass man sich, um die Exponate zu betrachten, darüber beugen muss, was der Rezeption einige Anstrengung abverlangt. Die Präsentation der Ausstellung zwang die Betrachter:innen die einzelnen bodennahen Tische als Bilder zu betrachten, weil die Distanz der aufrechten Betrachter:innen (denen es natürlich unbenommen war, sich hinzuhocken) zu den Objekten einer kleinteiligen Lesbarkeit im Wege stand. Auch die ungeheure Fülle von Material nötigte einen förmlich durch den Raum und das Material zu navigieren.

Willem Oorebeek, The Printing Press as an Agent of Chance, 2022, Ausstellungsansicht Willem Oorebeek, Obstakles, Wiels Brüssel 2025
Foto: © We Document Art

Der letzte Raum der Ausstellung verließ die lineare Choreographie, nun war ein Rundgang um eine Mitte vorgegeben. Etliche schon bekannte Arbeiten erschienen in anderer Form, so einige Bilder von Vertical Club als stehende skulpturale Arbeiten. Die große 144-teilige Wandarbeit (Lithographie und Offset) The Printing Press as an Agent of Chance von 2022 bezieht sich auf die gleichnamige bahnbrechende Publikation von Elizabeth Eisenstein zur Geschichte des Buchdrucks und seiner Bedeutung für den gesellschaftlichen Wandel. Sie fungiert als Zusammenfassung zahlreicher Thematiken und Thesen, die die Ausstellung schon vor uns aufgebreitet hat.

Ausstellungsansicht Willem Oorebeek, Obstakles, Wiels Brüssel 2025, links im Bild: Séance BLACKOUT (Silence Palestina), 2007 und Obstakel, 2020
Foto: © We Document Art

Die beiden Arbeiten ganz am Ende der Ausstellung sind dem Verhältnis Politik und Kunst gewidmet: Séance BLACKOUT (Silence Palestina) von 2007 ist ein Querformat mit zwei gleichgroßen Flächen, weiß und schwarz, das schwarz überdruckte Plakat zeigt ein Motiv einer Frau in einem zerbombten Haus mit dem Text „Wer still bleibt, ist mitschuldig“. Der zweite weiße Teil der Arbeit erscheint grau als Gegensatz zum Schwarz, obwohl er weiß gedruckt ist und zeigt so den starken Einfluss der jeweils anderen Seite auf die Wahrnehmung. „Free China From Tibet“ ist der Schriftzug aus PU-Schaum, der schwarz besprayt und schwer entzifferbar die Arbeit Obstakel darstellt. Beide Arbeiten thematisieren globale politische Konflikte und den Versuch sich dazu zu äußern, der zugleich ein Scheitern vor Augen führt, ein Scheitern im Sinn einer Vergeblichkeit, tatsächlich politische Wirkung im Konflikt selbst zu erzielen. Oorebeek schweigt nicht, veranschaulicht aber seine Grenzen als Künstler.

War der Buchdruck ab dem 16. Jahrhundert nicht nur bedeutsam, sondern geradezu Bedingung für die Verbreitung des Kolonialismus und spielen in der Folge Druckwerke für Demokratisierungsbewegungen eine herausragende Rolle, so ist auffällig, dass zeitgleich mit dem Aufkommen der sogenannten sozialen Medien im Internet auch Demokratien zunehmend unter Druck geraten. Scheint es nur mir so oder hing über der Ausstellung ein Hauch Melancholie? Möglicher Weise weil die Printmedien ihre Position als hegemoniale Informationsmedien verloren haben?

Die Ausstellung präsentiert wie Willem Oorebeek vorhandene Druckwerke sammelt, auswählt und mit Methoden des Drucks selbst wiederum analysiert, kommentiert und verändert, fundiert, kenntnisreich, vielfältig und immer auch mit einer Brise Humor.

(1) Wiels ist ein Kunstzentrum für Produktion und Präsentation internationaler zeitgenössischer Kunst. Der Name leitet sich von der mittlerweile geschlossenen Wielmans Brauerei ab, in dessen Räumlichkeiten es situiert ist.

 (2) Vgl. weiter unten im Text, der Satz steht auf einer Einladung zu einem Vortrag von Willem Oorebeek.

Weiter
Weiter

Einstand in Albertina und Kunsthalle