EVA International

Goshka Macuga, The Fable of the Wolf, the Polar Bear, the Reindeer and the Cosmonaut, 2018, im Hintergrund, Natsuko Uchino, Dwellings, 2023 im Vordergrund, Ausstellungsansicht EVA International, Limerick 2023
Courtesy: EVA International

Irlands Biennale, Limerick 31.08. – 29.10.2023

2023 findet zum 40. Mal die Ausstellung EVA International (ursprünglich Limerick Exhibition of Visual Art) in Limerick, einem Städtchen im Südwesten der Republik Irland statt. Ursprünglich 1977 als jährliche internationale Ausstellung gegründet, findet sie seit 2012 biennal statt. International bekannt ist sie aufgrund ihrer illustren Liste von Gastkurator:innen, denen unter anderen Koyo Kouoh (2016), Bassam El Baroni (2014), Angelika Nollert und Yilmaz Dziewior (2009), Hou Hanru (2008) und Zdenka Badovinac (2005), um nur einige zu nennen, angehörten.

Gastkurator 2023 ist Sebastian Cichocki, Kurator am Museum Moderner Kunst Warschau. An zwölf verschiedenen Orten in der ganzen Stadt zeigen lokale und internationale Kunstschaffende ihre Arbeiten, die unter dem Thema „citizenship“ (Bürger:innenrechte und -pflichten) stehen. Cichockis Part ist „The Gleaners Society“ (Gesellschaft der Ährenleser:innen) betitelt und ist ein Teil der Biennale, die daneben auch direkte Aufträge an Kunstschaffende der EVA (Platform Commissions) sowie lokale und internationale Kooperationsprojekte umfasst. 2023 wurden insgesamt 47 Künstler:innen und Künstler:innengruppen in der Gleaners Society, sechs Platform Commissions (ausgewählt von Pádraic E. Moore und Emily Jacir) und zwei Partnership Projects präsentiert. „Gleaning“, um auf Cichockis Teil zurückzukommen, war seit der Antike ein verbrieftes Recht bedürftiger Menschen, auf Äckern, die bereits geerntet waren oder solche, die gar nicht geerntet wurden, die restlichen Früchte aufzulesen. In Großbritannien wurde, so Cichocki in der Einführung, das Recht darauf bereits 1788 abgeschafft. Die Metapher des Gleaning steht für Cichocki dafür, existierende Ressourcen und Ideen – auch der vergangenen EVA-Ausgaben – weiter zu verwenden, in vorhandene Infrastrukturen zu integrieren und Kooperationen zu vertiefen.(1) Das Motto bringt zum Ausdruck, dass sich die Biennale nicht in erster Linie dem Mainstream einer Kunstmarktkunst mit den üblichen Berühmtheiten, sondern wichtigen Fragen der Gegenwart auch auf weniger bekannten Seitenpfaden widmet.

Mitte September, als wir die Biennale besuchten, war die internationale Kunstgesellschaft bereits weitergezogen, und es waren nun vor allem Menschen aus der Gegend, die die Ausstellung besichtigten. An einer der Stationen erzählte die Vermittlerin vor Ort, dass die Ausstellung gut besucht ist, zur Eröffnung waren in der Station, die sie betreute, 40 Personen gekommen, derzeit waren es immer noch zehn bis zwanzig.(2) EVA adressiert einerseits ein internationales Publikum und generiert dessen Aufmerksamkeit, sie erfüllt aber wesentlich auch regionale Aufgaben, indem sie Kunstschaffende aus der ganzen Welt und deren Werke präsentiert und einen Austausch mit der lokalen Szene ermöglicht. Ganz nebenbei lernt man als Besucher:in auch die Stadt und in diesem Jahr zum Beispiel das in Planung befindliche städtebauliche Entwicklungsprojekt Limerick 2030 kennen, das von den Anwohner:innen unterschiedlich (einmal mehr als Immobilieninvestment mit öffentlicher Förderung, einmal als kulturell wesentlicher und wichtiger Schritt der Stadtentwicklung) diskutiert wird.

Natsuko Uchino, Dwellings, 2023, im Vordergrund, Ausstellungsansicht EVA International, Limerick 2023
Courtesy: EVA International

Eine der größten Stationen der Ausstellung findet sich in der Limerick City Gallery of Art, wo die Sammlung mit der Biennale interagiert. Der eindrücklichste Raum ist hier derjenige, in der die 2018 entstandene Arbeit The Fable of the Wolf, the Polar Bear, the Reindeer and the Cosmonaut von Goshka Macuga (ein Teppich, der vom norwegischen Parlament in Auftrag gegeben wurde) mit der Installation der in Frankreich lebenden Künstlerin Natsuko Uchino in Dialog tritt. Diese kombiniert in ihrer Arbeit beiläufig Objekte aus ihrem Atelier in Südfrankreich mit solchen, die sie in Limerick gefunden hat, um auf die Zirkulation von Wissen und Gütern aufmerksam zu machen. „Democracy must be more than two wolves and a sheep voting on what to have for dinner” steht auf einem Schild in einer apokalyptischen Waldlandschaft von Goshka Macuga, in der auch, wie der Titel bereits aussagt, ein Wolf, ein Eisbären, ein Elch und ein im Hintergrund sich entfernender Astronaut zu sehen sind. In dem von der Klimakrise stark in Mitleidenschaft genommenen Wald liegen technische Überreste, vielleicht auch eine Raumkapsel herum. Die Tierfiguren sind von Menschen in Tierkostümen dargestellt, der Eisbär hält einen Zettel mit der Aufschrift „It’s hot in here“. Die Motivik ist aus unterschiedlichen Bildvorlagen u.a. von einer Demonstration zusammengesetzt. Im Hintergrund sieht man eine Ölplattform im Meer, gegenüber einem historischen Gebäude der Gemeinde Eidsvoll  – wo auch die oben erwähnte Demonstration stattfand – und dem samischen Parlament.(3) Macuga findet eine markante Bildsprache, um die Erderwärmung, die menschengemachte Klima- und Artenkrise und deren Ursachen darzustellen, nicht ohne einen ironischen Verweis auf Äsops Fabeln, die schon in der Antike Probleme der Menschen lieber anhand von Tiergestalten präsentierten.(4) Natsuko Uchinos Objekte – Keramikgefäße, vertrocknete Pflanzen, Äste, Betonbalken und -quader – sind präzise komponiert und zeigen ein klares, zugleich geordnetes und zufälliges Arrangement, das in Spannung zum Chaos im Wald steht. Auch diese Objekte sind Relikte aus einer ehemals lebendigeren Welt.

In der Limerick City Gallery of Art werden insgesamt 18 Kunstschaffende gezeigt, die von drei Arbeiten von 1967 bis 1970 der slowenischen Gruppe OHO (eine von mehreren historischen Referenzpunkten) über Textarbeiten von Orla Barry bis zu dokumentarischen Videos über Klimaaktivist:innen von Rory Pilgrim reichen. Ein riesiger Quilt, The Map, 2021 von Rachel Fallon und Alice Maher hängt nicht weit davon in The Coach House (der Wagengarage) des People’s Museum. Um in The Coach House zu gelangen durchquert man einen kleinen Garten, in dem einem die Soundinstallation Burrenscapes, 2022 von Óskar Mascareñas verzaubert, in der der Künstler Sounds aus der Karstlandschaft (Burren genannt) des County Clare in Irland remixed. Alle Arbeiten verbindet eine lose Beziehung zum Thema der „Gleaners Society“, ein Motto, das für Ökologie, Klimaneutralität und das Wiederverwerten von Vorhandenem steht.

Frank Sweeney, Few Can See, 2023 (Installation von Michelle Malone) Ausstellungsansicht EVA International, Limerick 2023
Courtesy: EVA International

Ein weiterer zentraler Ort ist Garden International, ein angeblich klimaneutrales neues Bürogebäude, das der Vorbereitung von Limerick 2030 dient, bei dem man allerdings den Garten vergeblich sucht. Will man sich mit der lokalen Geschichte befassen, ist hier eine Arbeit zentral, nämlich Frank Sweeneys Video Few Can See, 2023 in der Installation von Michelle Malone. Sweeney untersucht die Rolle und das Erbe der Zensur im Nordirlandkonflikt, der von 1969 bis in die späten 1990er Jahre durchaus gewalttätig geführt wurde und wie jeder bewaffnete Konflikt auch mit Zensur einher ging. Das Projekt versucht Material, das in den staatlichen Archiven der aufgrund der damals herrschenden Zensur nicht vorhanden ist, anhand von aktuellen Oral-History-Interviews zu rekonstruieren.

Navine G. Dossos, The Grove, 2003, Ausstellungsansicht EVA International, Limerick 2023
Courtesy: EVA International

In der Nähe, in The Grove, dem Biennale eigenen Restaurant, kann man nicht nur die gleichnamige Wandmalerei von Navine G. Dossos, einer Künstlerin, die in London und Aegina (Griechenland) lebt, sondern auch ein vegetarisches Essen genießen.

Kian Benson Bailes, Cailleach boy, 2023, Ausstellungsansicht in der St. Mary’s Cathedral, EVA International, Limerick 2023
Courtesy: EVA International

Im ältesten Teil von Limerick, wo die riesige Burg King John’s Castle, vorwiegend aus dem 13. Jahrhundert, den Shannon River bewacht, findet sich die älteste, mittelalterliche Kirche Limericks, St. Mary’s Cathedral. Auch hier werden einige Arbeiten u.a. die aberwitzigen Figuren vom jungen irischen Künstler Kian Benson Bailes, die sich irischer Mythologie widmen, gezeigt.

Zum Abschluss des Ausstellungsparcours kann man dem stimmungsvollen Pub The Commercial einen Besuch abstatten, wo die Arbeit von John Carson A Bottle of Stout in Every Pub in Buncrana, 1978–1979 von dem Versuch zeugt, an einem Tag eine Flasche Guiness in jedem Pub in Buncrana – einem Städtchen im Nordwesten der Republik Irland – zu trinken. Hier wird das Verhältnis von Bier trinken und Kunst beschworen. In einer Stadt, in der unzählige Kleinstbrauereien mit eigenen Pubs, ihr Bier unter die Leute bringen, ein naheliegendes Unterfangen.

EVA International zeigt, dass Biennalen an der Peripherie, etwas abseits der üblichen Ausstellungsorte, tatsächlich eine wichtige Funktion erfüllen. Hier kann man als Ausstellungsbesucher:in noch sanften Tourismus mit internationalem Kunstgenuss verbinden, und es finden sich immer Menschen aus der Gegend, mit denen man sich über die Ausstellung, die Kunst und ihre Stadt, die Geschichte Irlands etc. unterhalten und vieles dabei lernen kann.


(1)  Vgl. Sebastian Cichocki, “The Gleaners Society”, in: Matt Packer (Hg), 40th EVA International, Ireland’s Biennial of Contemporary Art, Ausstellungsbegleitbooklet, 2023, S. 20 ff.

(2)  Das sind natürlich keine offiziellen Zahlen, sondern sie geben die subjektive Erfahrung der Mitarbeiterin wieder, überrannt war die Ausstellung Mitte September jedenfalls nicht.

(3)  In der Gemeinde Eidsvoll wurde 1814 eine norwegisch Verfassung beschlossen, in der die Macht nicht mehr vom König, sondern vom Volk ausging, https://de.wikipedia.org/wiki/Verfassung_von_Eidsvoll, letzter Zugriff 15.10.2023.

(4)  Vgl. https://digitaltmuseum.no/021048289864/the-fable-of-the-wolf-the-polar-bear-the-reindeer-and-the-cosmonaut-teksti, letzter Aufruf 15.10.2023, übersetzt von DeepL https://www.deepl.com/de/translator



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