Performing 89

Ausstellungsansicht Performing 89. States of Disillusion, FABER, Timisoara 2023
Courtesy: Institute of the Present, Foto: Serioja Bocsok

States of Disillusion

Timisoara, 07.09. – 22.10.2023

2017 gründeten Alina Șerban und Ștefania Ferchedau das Institute of the Present (IP) in Bukarest, das sich auf die Forschung zu rumänischer Kunst und Kultur aus transnationaler und transkultureller Perspektive konzentriert.(1) Es ist ebenso ein Archiv wie eine Onlineplattform und sucht mit Ausstellungen, Projekten oder Publikationen einen interdisziplinären Austausch zwischen den verschiedenen künstlerischen Praktiken. Kuratiert von Alina Șerban fand nun in Timisoara (Temeswar), einer der Kulturhauptstädte 2023, die Ausstellung Performing 89. States of Disillusion statt, die von den politischen Ereignissen seit 1989 in Rumänien, Serbien und Ungarn ausging, um sie in etwa 20 künstlerischen Arbeiten, wie der Titel besagte, wieder auftreten zu lassen. Timisoara war bekanntlich Ausgangspunkt für die Revolution, als am 16. Dezember 1989 hier die ersten Aufstände und Demonstrationen verbunden mit zahlreichen Todesopfern stattfanden. Wie Șerban selbst im Booklet zur Ausstellung sagt, geht es in Bezug auf die drei Länder um „intersecting lines of these diverse realities“, die allesamt von „euphoria and defiance, loss und transformation, war and demystification“ getragen sind. Șerbans Konzept von Geschichte ist dabei kein abgeschlossenes im Sinne eines an Erinnerung gebundenen Denk- bzw. Mahnmals, vielmehr ist ihr Ansatz, der aktuelle Bezugssetzungen einschließt, ein „Denken durch die Dinge“ (Siegfried Krakauer) anstatt über sie.

Róza El-Hassan, Secured Space Retouched, 1994, Ausstellungsansicht Performing 89. States of Disillusion, FABER, Timisoara 2023
Courtesy: Institute of the Present, Foto: Serioja Bocsok

In der ehemaligen Fabrik FABER, an der Bega (Theiß) etwas außerhalb des Zentrums gelegen, hat sich in Timisoara ein wichtiger Kulturort etabliert, wo auch Performing 89 in einer der weitläufigen Räumlichkeiten stattfand. Șerbans Argumentation der Interaktionen und Verbindungen zwischen Kunst und Gesellschaft wurde dabei von einem minimalistischen Display unterstützt, das den Raum mit grauen Wänden so strukturiert hatte, dass Durchgänge, Querverweise und Blicksetzungen zwischen den Wänden nie abrissen. Damit wurden Raum und Narration der Ausstellung auf überzeugende Weise verbunden. Trotz der spektakulären und farbenfrohen Masken von Săsa Marković Mikrob und einiger anderer Werke dominierte das Schwarzweiß von Fotografien, Videos und Textarbeiten, womit der dokumentarische Anteil von Aktionen und Protestbewegungen deutlich gemacht, gleichzeitig aber auch dem erweiterten Kunstbegriff der beginnenden 1990er Jahre Rechnung getragen wurde.

Csaba Nemes, Raised Horizon, 1992, Ausstellungsansicht Performing 89. States of Disillusion, FABER, Timisoara 2023
Courtesy: Institute of the Present, Foto: Serioja Bocsok

Dieser Paradigmenwechsel, der in Europa und den USA stattgefunden hat, setzte Fotografie, Film, Video, Performance oder Text gegen die traditionellen Medien von Malerei oder Skulptur, ging diskursiv und nicht werkorientiert vor und war vor allem politisch motiviert. In der Ausstellung sind alle Arbeiten von einer konzeptuellen und kontextbezogenen Herangehensweise geprägt, die allgemein überhaupt erst als Grundlage für eine kritische Praxis angesehen wurde. Rumänien, Serbien und Ungarn hatten anders als das westliche Europa spezifische politische Situationen, die mit prekären Lebensbedingungen und Ausnahmezuständen verbunden waren. Protestaktionen richteten sich gegen politische Manipulation, wie etwa jene der Gruppe LED ART, die 1997 anlässlich einer Demonstration in Belgrad Spiegeln wie Schutzschilde gegen jene der Polizei einsetzte. In Novi Sad fanden Aktionen der Gruppe APSOLUTNO statt, wie performative investigation in der Werft von Novi Sad. Der öffentliche Raum war Notwendigkeit und einzige Möglichkeit für Distribution und Kommunikation, was wenig mit dessen theoretischer Überfrachtung im „Westen“ gemeinsam hatte.

Balázs Beöthy, Six Months, 1995, Ausstellungsansicht Performing 89. States of Disillusion, FABER, Timisoara 2023
Courtesy: Institute of the Present, Foto: Serioja Bocsok

Eingangs stellte Dan Mihaltianu mit seiner Installation Window, Maria Rosetti 53 (La révolution dans le boudoir) eine Rekonstruktion seines Ateliers seit 1989 Videobildern des das Atelier umgebenden Außenraums in Bukarest gegenüber. Im Radio hörte man Kommentare zur Revolution. Fragen von Öffentlichkeit und Privatem, von außen und innen, von persönlicher und offizieller Geschichte waren zentral in diesen Jahren und haben generell die 1990er-Jahre bestimmt, hatten aber in Rumänien angesichts der grundlegenden Umwälzungen eine andere Relevanz. Wie dieser in Transformation begriffene Raum beschaffen sein könnte und welche Überlegungen ihm zugrunde liegen, zeigte die Arbeit von Róza El-Hassan, Secured Space Retouched von 1994, ein von einem Stangensystem mit Haltegriffen definierten Raum, der wie die Abstraktion eines öffentlichen Verkehrsmittels anmutete und sowohl als Versprechen als auch als Verlust gelesen werden konnte.

Die beachtliche Raumhöhe nutzten zwei große Wandarbeiten von Dan Perjovschi und Csaba Nemes, die quasi über der Ausstellung thronten. Dan Perjovschi hatte hier eine Reihe von Zeichnungen wiederholt, die er für die Revista 22, der ersten unabhängigen Zeitschrift nach 1989 in Bukarest, machte. Raised Horizon ist Teil einer Serie von Werbetafeln, die Nemes nach dem Muster von (westlichen) Werbekampagnen im öffentlichen Raum von Budapest installiert hat. Er greift deren ästhetische Strategien auf, um den Zustand vom Stadtraum mit jenem der Gesellschaft zu gewichten. Bezogen auf die Ausstellung könnte Raised Horizon auch als Paraphrase zum Untertitel „States of Disillusion“ gelesen werden.

Lia Perjovschi, Contemporary Art Archive (CAA), seit 1985, Ausstellungsansicht Performing 89. States of Disillusion, FABER, Timisoara 2023
Courtesy: Institute of the Present, Foto: Serioja Bocsok

Neuorientierung verbunden mit Instabilität und Unsicherheit waren auch Thema in Six Months von Balázs Beöthy, wo die Zigarettenpackungen, die er in sechs Monaten geraucht hatte, zu einem stabilen Kreis zusammengeschlossen waren, deren Marken jedoch auf ein neues, noch unsicheres Konsumverhalten hinwiesen. Lia Perjovschi zeigte es ähnlich mit Plastiktaschen, die sie im Laufe der 1990er Jahre gesammelt hatte. Ihr Format ist das Archiv, das generell als Bindeglied zwischen Vergangenheit und Zukunft angesehen wird, in ihrem Contemporary Art Archive (CAA) aber Zeitraffer der Gegenwart war.

Es war eine Stärke der Ausstellung, dass man sie ebenso als kritische Reflexion der politischen Ereignisse wie als Praxis eines erweiterten Kunstbegriffs der 1990er Jahre verstehen konnte. Wie auch immer unterschiedlich die äußeren Bedingungen im restlichen Europa waren, sind einige der ästhetischen Strategien durchaus vergleichbar. Auch im 550 km entfernten Wien zogen politische Veränderungen, wie etwa der sich abzeichnende Rechtsruck, eine Neupositionierung der Kunst mit sich, die auf Institutionskritik, neuen Medien und prozessorientiertem Arbeiten basierte. Mit Projekten im öffentlichen Raum reagierte man auf dessen zunehmende Privatisierung und Überwachung. Allgemein hatte die Kunst durch das neu geschaffene Modell der Bundeskuratoren Unterstützung und Förderung erfahren wie kaum je zuvor.

ŠKART, Sadness, 1992/93,  Ausstellungsansicht Performing 89. States of Disillusion, FABER, Timisoara 2023
Courtesy: Institute of the Present, Foto: Serioja Bocsok

Im Gegensatz dazu standen in den besagten Ländern kaum Ressourcen zur Verfügung. Entsprechend spielten publizistische Formate eine große Rolle, die oft mit wenig Mitteln hergestellt wurden. Drucksorten, Bild-Text-Folder oder Karten bestimmten auch die Arbeit von ŠKART, einer Gruppe, die Dragan Protić and Dorde Balmazović zu Beginn des Bürgerkrieges gründeten. 1991 stieß Vesna Pavlović dazu. Der Name war programmatisch auf das Übersehene oder Aussortierte gemünzt. Musik, Text, Radio oder Fotografie wurden interdisziplinär eingesetzt. In einer Straßenaktion im Winter 1992/93 verteilte die Gruppe an Passanten Karten ihres Projektes Sadness, wie sie selbst sagten: „Everything around us was falling apart and we reacted to that with poetry; we tried to make our message legible.”(2) Auch den wichtigen Radiosender B92 konnten sie für das Projekt nutzen. Mit Unterstützung vom Freundeskreis gelang es ihnen trotz prekärer finanzieller Situation ihre Projekte weiterverfolgen: “Yet they thought we must continue, this was the way we somehow keep fighting through self-produced works”.(3) Die Folder und Karten des Sadness-Projektes erinnern in ihrer Verbindung von Aktion, Text und Bild immer wieder an den ästhetischen Apparat der Neoavantgarden mit ihren Anweisungen zu kommunikativen Aktionen und Praktiken, wie sie etwa im Fluxus oder in der Konzeptlkunst zu finden sind. Auch die Ästhetik von konzeptuellen Text- und Fotoessays waren seit den späten 1960er Jahren beliebt, wo ebenso ein großer Umbruch stattfand. Allerdings war dieser kaum so alternativlos wie die Situation in Serbien, weswegen man in der „Sadness of potential travellers“ dann auch gar nichts mehr von der Traurigkeit des weinenden Bas Jan Ader spürt.

 

Die Reise nach Timisoara erfolgte auf Einladung der Kulturhauptstadt Timisoara. Dank an Ștefania Ferchedau und Bianca Floarea.

 

(1) https://institutulprezentului.ro/en/about/

(2) Zitiert nach Seda Yildiz, The evolution of ŠKART, the Serbian art collective forging communities through war and peace, https://www.new-east-archive.org/articles/show/11936/skart-art-collective-serbia-community-war-and-peace

(3) Ebenda.

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Ulrike Grossarth

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