Gordon Matta-Clark im Museum der Moderne Salzburg

13. November 2021 bis 06. März 2022

Gordon Matta-Clark, Conical Intersect, 1975, Film
© Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg, Foto: Werner Kaligofsky/Bildrecht, Wien 2021

Eine fassettenreiche Befragung des Oeuvres von Gordon Matta-Clark ist derzeit im Museum der Moderne Salzburg zu sehen. Das Canadian Centre for Architecture in Montreal (CCA) und die Generali Foundation präsentieren ihre Sammlungen in „Out of the Box: Gordon Matta-Clark“ in einer vierteiligen Ausstellung.

Bald nach dem Studium der Architektur an der Cornell University, Ithaca, New York zog der Sohn der surrealistischen Kunstschaffenden Roberto Matta und Anna Louise Clark (später Alpert) 1969 nach Soho in Manhattan, New York, wo er, abgesehen von seiner ausgedehnten Reisetätigkeit, bis zu seinem frühen Tod 1978 lebte und arbeitete und u.a. eine Galerie und das Restaurant „Food“ als Community Projekt betrieb. Er war Teil einer Kunstszene, die nicht nur bildende Künstler*innen, sondern auch Tänzer*innen wie Trisha Brown oder Musiker*innen wie Laurie Anderson umfasste, deren Arbeiten sich immer wieder mit seinen überschnitten, so zum Beispiel in der Erforschung der Stadt und deren Definition als eigenes Arbeitsfeld, als Aufführungsort. Matta-Clarks Werk umfasst Fotografien, Filme und Videos, Collagen, Zeichnungen, Skulpturen, große Interventionen in Gebäude und aktivistische Nachbarschaftsprojekte.

Filmstill von einer Exkursion zu Splitting, Englewood, New Jersey, 1974, Gordon Matta-Clark Collection, CCA. Schenkung des Estate of Gordon Matta-Clark, © Estate of Gordon Matta-Clark

Die Salzburger Ausstellung demonstriert vier verschiedene Wege, die beiden Sammlungen in Montreal und Salzburg neu zu befragen und lässt so die Besucher*innen am Erforschen des Oeuvres anhand verschiedener Aspekte, die sich aus den Sammlungsmaterialien ergeben, teilnehmen. Sie eröffnet unterschiedliche Perspektiven und Zugangsweisen zu Leben und Werk des Künstlers, die ähnlich auch in Zukunft fortgesetzt werden könnten. Im Nachlass im CCA befinden sich Skizzen, Fotografien, Fotocollagen, Filme, seine Bibliothek, skulpturale Arbeiten und unzählige Materialien, wie Notizen, Briefe und andere Dokumente. Diese Mehrdimensionalität und Vielfalt der Materialien entsprechen dem Oeuvre Gordon Matta-Clarks, der Architektur studierte, sich zwar nicht als bauender Architekt im engeren Sinn verstand, aber intensiv mit Architektur, Stadtentwicklung und Urbanismus befasste. Er war gegen die rigide Vorstellung, dass Architekt*innen Wände bauten, die Kunstschaffende dann dekorieren sollten, vielmehr war für ihn die Wand allein schon das Medium, das ihn herausforderte. „Nonarchitecture“, „Anarchitecture“ waren Begriffe, mit denen er immer wieder seine Projekte beschrieb. Architektur wird, wie Mark Wigley analysiert, bei Matta-Clark zu einem kurzlebigen Instrument, das etwas jenseits ihrer selbst, als eine Art negatives Monument, enthüllt. „Anarchitecture“ war ein langfristiges Projekt transformativer Untersuchungen an Gebäuden, die diese dramatisch veränderten und so ihre Geheimnisse freilegten.(1)

Die ersten drei Ausstellungsteile im Museum der Moderne wurden 2019 und 2020 vom CCA realisiert, der Institution, die seit 2002 von der Witwe des Künstlers Jane Crawford Nachlassmaterialien in mehreren Tranchen erhielt. Die Geschäftskorrespondenz von Gordon Matta-Clark, genauer gesagt seine Briefe an Geschäftspartner*innen, die in Kopien in der Generali Foundation vorhanden sind, hat Hans Schabus für den von ihm kuratierten vierten Ausstellungsteil der Sammlung der Generali Foundation zur Gänze faksimiliert und unkommentiert als Broschüre veröffentlicht. Die Korrespondenz veranschaulicht eindringlich die Bedingungen, unter denen seine Arbeiten realisiert wurden (oder eben auch oft nicht realisiert wurden), zum Beispiel als er Mitte der 1970er Jahre gleichzeitig mehrere große Projekte in New York, in Kalifornien und an verschiedenen Orten in Europa verfolgte. Die Korrespondenz umfasst Briefe an Immobilienbesitzer*innen, potenzielle Geldgeber*innen, zahlungssäumige Galerist*innen, Kurator*innen, Multiplikator*innen, von denen er erwartete, dass sie ihm Türen öffnen könnten.

Der erste (Kurator Yann Chateigné) und der dritte Teil (Kuratorin Kitty Scott) der Ausstellung gehen von bisher weniger bis gar nicht bekannten Sammlungsstücken aus, der persönlichen Bibliothek und den Reisefotografien.

Ausstellungsansicht Out of the Box: Gordon Matta-Clark, Museum der Moderne Salzburg 2021
© Museum der Moderne Salzburg, Foto: Rainer Iglar

Ich konzentriere mich hier auf den zweiten Teil, kuratiert von Hila Peleg, der vier großen Projekten, drei davon mit Gebäudeschnitten, gewidmet ist: „Splitting“, 1974, „Day’s End“, 1975, „Conical Intersect“, 1975 und dem Community Projekt, dem Restaurant „Food“, 1971. Gezeigt werden Filme und andere Materialien, wobei nicht nur fertig geschnittene Filme, sondern auch jede Menge Footage zu sehen sind. Interviews mit den Künstler*innen und Passant*innen, Eröffnungsmomente und vor allem die Entstehung der Arbeiten werden hier dokumentiert. Mit Baumaschinen, Bohrern, Sägen, Vorschlaghämmern, Baggern zerschneiden und durchbohren der Künstler und seine Freund*innen und Kolleg*innen die Gebäude. Immer wieder sieht man auch die fertigen Arbeiten, meist nach einigen Tagen wieder zerstört, weil die Häuser abgerissen wurden. Unzählige Stunden Filmmaterial zeugen von der großen Faszination der anstrengenden und gewaltigen Arbeit mit den „Cuttings“. Der Künstler dokumentiert penibel und ausführlich die langwierige Entstehung und spricht von seiner Begeisterung des wunderbaren Lichteinfalls, von Spiegelungen am Wasser, Durchsichten und Ansichten, Köch*innen in Aktion etc. Diese Filme waren mit Fotografien und Skizzen die einzigen Zeugen dieser riesigen Arbeiten, so zum Beispiel auch „Day’s End“, das er im Sommer 1975 im Hafen von New York realisierte. Pier 52 war ein gut erhaltenes Industriegebäude aus Stahl und Wellblech aus dem 19. Jahrhundert, schon lange verlassen und Treffpunkt der Schwulenszene. Die Bearbeitung entstand ohne Genehmigung, mit der Intention ein „Fest von Licht und Wasser, einen Park im Inneren“ (Gordon Matta-Clark) für die New Yorker*innen zu schaffen. Matta-Clark öffnete mit einem riesigen Schnitt die Außenwand und gab so die Sicht auf den Hafen frei, durchsägte den Boden, sodass auch hier der direkte Bezug zum Wasser gegeben war. Durch die Öffnungen drang das Licht in das Gebäude und veränderte es grundlegend. „Son et Lumière“ war ein Begriff, den er gerne für seine „Cuttings“ benutzte, womit er den performativen Charakter der Arbeiten unterstrich. Kurz vor der Eröffnung von „Day’s End“ wurden die Behörden auf das Projekt aufmerksam und verboten das Betreten des Gebäudes und damit die Möglichkeit, die Arbeit zu besichtigen und zu erleben. Gegen Matta-Clark wurde ein Haftbefehl erlassen, dem er sich durch eine Reise nach Paris entzog, wo er die Arbeit „Conical Intersect“ in zwei Gebäuden aus dem 16. Jahrhundert realisierte. Diese waren ganz in der Nähe der damaligen Baustelle des Centre Pompidou, das den letzten und wesentlichen Impuls für die Gentrifizierung des alten Stadtviertels von Le Marais darstellte. In „Conical Intersect“ schneidet Matta-Clark einen Kegel, also eine konische Form über mehrere Stockwerke, in das Gebäude, ein wenig wie ein Fernrohr, mit dem man aus dem Haus auf die Straße sieht. Zugleich gibt das entstandene Loch, von der Straße aus gesehen, den Blick auf das Innere, die Wände, deren Funktionen sowie deren Konstruktion frei. Der 45 Grad Winkel, mit dem die Form im Haus sitzt, nimmt auf die Treppen an der Fassade des Centre Pompidou Bezug. Die Filme und Fotos der „Cuttings“ demonstrieren freilich auch, dass der Künstler diese nicht als statische Arbeiten verstand, sondern ebenso als Performances und Prozesse, an denen er Passant*innen, Fachleute und die Nachwelt durch die Dokumentation teilhaben ließ.
Matta-Clark arbeitete zeitlebens in sozialen Zusammenhängen, sei es bei seinen „Cuttings“ oder bei dem Restaurant „Food“, das er von 1971 an ein paar Jahre lang mit Caroline Goodden, Tina Girouard, Suzanne Harris und Rachel Lew betrieb. Es sollte Kunstschaffenden ein Einkommen ermöglichen und zugleich eine soziale Infrastruktur (billiges gesundes und nachhaltiges Essen) in Lower Manhattan zur Verfügung stellen. 

Eine komplementäre Arbeit zu den „Cuttings stellt die Arbeit „Reality Properties? Fake Estates (Block 3398, Lot 116)“, 1973 dar: Gordon Matta-Clark kaufte in Queens, New York, mehrere winzige Grundstücke um jeweils 25 Dollar, die unzugänglich und quasi unbrauchbar waren. Eine Grundstücksurkunde, Fotos und Fotomontagen bilden die jeweilige künstlerische Arbeit gemeinsam mit dem Grundstück selbst. Diese Arbeit ist im vierten Teil der Ausstellung, kuratiert von Hans Schabus, zu sehen, der sich mit der kleineren aber gewichtigen Sammlung der Generali Foundation beschäftigt. 

Was macht die Faszination von Gordon Matta-Clark heute aus? Die Gründe dafür sind vielfältig: Auf der einen Seite sind es die großen Gesten, mit denen er in die in einem massiven Transformationsprozess befindlichen Städte intervenierte und so seine Kritik am Modernismus anschaulich vor Augen führte und zur Diskussion stellte. Diese Arbeiten waren flüchtig und riesig zugleich, „Non-uments“ wurden sie deshalb auch genannt (2). Gordon Matta-Clark dokumentierte seine künstlerischen Arbeitsprozesse penibel. So kann man heute genau nachverfolgen, wie seine Arbeiten entstanden sind, wer in den Entstehungsprozess involviert war und wie die Öffentlichkeit (also beispielsweise Passant*innen) darauf reagierten. Auf der anderen Seite mischt sich in die heutige Faszination auch so etwas wie Nostalgie, weil Matta-Clark es Ende der 1960er und in den 1970er Jahren noch mit vergleichsweise ineffizienten Stadtverwaltungen zu tun hatte, es kaum Überwachung im öffentlichen Raum gab, jedoch sehr wohl große brach liegende oder gerade in Transformation befindliche Viertel und Gebäude. So konnte er beispielsweise wochenlang unbemerkt im Pier 52 in New York arbeiten. Städte waren damals, wie eben auch New York, noch nicht in dem Ausmaß vom Immobilienkapitalismus dominiert wie heute. Kunstschaffende fanden noch genügend Raum zum Leben und Arbeiten, auch wenn die Stadtentwicklungsprojekte, die die Gentrifizierung einleiteten, zumindest in Lower Manhattan bereits seit den 1950er Jahren im vollen Gang waren. Zeugen seine Interventionen von einer Freiheit im Umgang mit der Stadt, die getragen wurde von einer, wie man es damals nannte, breiten Gegenöffentlichkeit, einer künstlerischen Freiheit, die kaum einer unmittelbaren Verwertungslogik unterworfen war? Eine Verwertungslogik, die damals Kunstwerken noch nicht so substanziell eingeschrieben war wie heute, was sich auch in zahlreichen Community Projekten widerspiegelt? 

 “… I’m at last sitting in the sun by a magnificent view from Harlem of Downtown and to complete these gentle spring days is your most outrageously lovely bouchet that has reached the perfect state of bloom … their perfume works so well to cover up this now stinky rotting artist ...” 

So schreibt der 35-jährige Künstler kurz vor seinem Tod 1978 in einem seiner letzten Briefe, der sich als Fotokopie im Archiv der Generali Foundation befindet. Der Brief ist an „dear M. CA. Gang“ gerichtet und handelt von dem Blumenbouquet , das ihm diese/r geschenkt hatte. Lapidar hängt der Brief in einer Klarsichthülle an der Wand des allerletzten Saals der Ausstellung. Dem Brief gegenüber stehen auf einem Podest alle 24 Ordner mit den Fotokopien aus dem Nachlass (des CCA), der sich im Besitz der Generali Foundation befindet. Dieser Raum bildet den melancholischen Abschluss der inspirierenden Ausstellung, die große Lust auf individuelle Recherchen macht.

  1. Vgl. Mark Wigley: Cutting Matta-Clark. The Anarchitecture Investigation, Zürich 2018, S. 40f, 61. „Anarchitecture“ war 1974 der Titel einer Gruppenausstellung in 112 Greene Street, Manhattan, N.Y., an der Matta-Clark mit anderen Kunstschaffenden teilnahm, die im Anschluss „anarchitecture-group“ genannt wurde. Sehr schnell jedoch wurde „anarchitecture“ ein Begriff, der auf Matta-Clarks Arbeiten angewendet wurde, auch wenn er sich bisweilen dagegen verwehrte und ihn selbst für manche „Cuttings“ benutzte. Wigley: „Anarchitecture is never an action or something that can be made. It is an elusive, subversive condition that is always already there in the cracks and can only be pointed with a certain canniness.“ (ebenda S. 20).

  2. Judith Russi Kirshner: Non-uments, Artforum, Oktober 1985 https://www.artforum.com/print/198508/non-uments-35175

Zurück
Zurück

Ich sehe mich als Ermöglicher

Weiter
Weiter

Der „Dwindler“ und sein Team