Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910 – 1950
Charley Toorop, Frauenfiguren, 1931-1932, Collection Van Abbemuseum, Eindhoven
© Bildrecht, Wien 2025, Foto: Peter Cox, Eindhoven
Belvedere Wien, 18.06. bis 12.10.2025
Mehr als 60 Künstlerinnen aus etwa 20 Ländern sind unter dem Titel Radikal. Künstlerinnen* und Moderne 1910 – 1950 im Belvedere zu sehen, mit denen neue Perspektiven auf die Moderne versprochen werden. Autorinnen und Werke sollen sich unter dem Motto des Radikalen kurzschließen, wozu sie in Themen gruppiert werden, die etwa „Experiment Abstraktion“, „Neue Realitäten. Neue Identitäten“ oder „Kunst als Form des Protests“ heißen. Die Künstlerinnen werden in kleineren Werkgruppen, manchmal auch nur mit einem Werk vorgestellt. Neben bekannten Namen lernt man viele Kunstschaffende aus den Niederlanden, Belgien oder Tschechien kennen, die hierzulande kaum bekannt sind. Das betont angebrachte Sternchen ist auf das große Spektrum der Persönlichkeiten gemünzt, wie auch viel von Individualität, Identitäten und Lebensentwürfen die Rede ist, die ein Narrativ um Auswahl und Kontext der Ausstellung in den Hintergrund drängen. Es bleibt offen, ob eine autobiographische Lesart der Werke im Vordergrund steht oder ob mit der breiten Auswahl ein alternativer Kontext zur männlich bestimmten Moderne mit all ihren Chronologien und Ismen erreicht werden soll. Gewissermaßen betritt die Ausstellung Neuland, wenn sie nach Emanzipation und künstlerischem Selbstverständnis der Beteiligten fragt, die als Voraussetzung ihrer künstlerischen Anliegen diese wesentlich bestimmen. Die Ausstellung will gleichzeitig zeigen und erzählen, das ist ein großer Anspruch, zumal auch noch die Forderung nach dem Radikalen im Raum steht.
Ausstellungsansicht Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910 – 1950, Belvedere Wien 2025
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien
Dies wird etwa im ersten Raum angesichts eines Bildes von Liubov‘ Popova deutlich, die zweifelsohne eine der fundamentalsten Positionen im frühen 20. Jahrhundert verkörpert. Allerdings ist das 1915 datierte Werk Ohne Titel noch ganz ihren kubofuturistischen Anfängen verpflichtet und kann allenfalls andeuten, wie der Weg in den Konstruktivismus, in einen architektonisch definierten Bildraum ab 1916 erfolgen wird, bevor ihre ebenso radikalen Raum-Kraft-Kompositionen in den 1920er Jahren entstehen. Radikal war auch die von ihr und Varvara Stepanowa vollzogene Abwendung von der Malerei und Hinwendung zur Produktionskunst. Wenig radikal ist allerdings das hier gezeigte Bild: Viele der russischen Künstlerinnen haben in Paris Kubismus und Futurismus studiert, was ein interessantes Phänomen, aber nicht Thema der Ausstellung ist.
Gertrud Arndt, Maskenselbstporträt Nr. 13, 1930 (1996), Museum Folkwang, Essen
© VG Bildkunst, Foto: Jens Nober
Indem herkömmliche Kriterien wie stilistische Einordnungen oder Chronologien hintangestellt werden, wird die Ausstellung von einem losen Zueinander unter den schon genannten Themen bestimmt. Dies ist durchaus abwechslungsreich und spannend, jedoch kommen Bezugssetzungen von Karrieren oder Netzwerk, Ausstellungsmöglichkeiten oder Verkauf zu kurz. Zu kurz kommt mit der Konzentration auf die 1920er, 1930er und 1940er Jahre auch die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, obwohl uns im Titel die Jahre ab 1910 (!) angekündigt werden. Es war dies eine Zeit großen Umbruchs, von der man gerne im Kontext der Ausstellung mehr erfahren hätte. Neben Popova und Käthe Kollwitz ist es einzig Jacoba van Heemskerck, die nun die Frühzeit der Moderne anschaulich macht. Van Heemskerck war inmitten der männlichen Avantgarden Teil von Herwarth Waldens Berliner Sturm-Galerie, war in Ausstellungen und Publikationen vertreten, in denen sie eine spannende Gegenposition verkörpert. Walden zeigte vier ihrer Bilder im Ersten Deutschen Herbstsalon 1913, wo auch Werke von Gabriele Münter und Marianne von Werefkin ausgestellt waren, die aber in der Ausstellung nicht vorkommen. Auch streitbare Positionen wie Hilla von Rebay, die über das eigene künstlerische Interesse hinaus am Kunstbetrieb Teilhabe erreichen wollten, kommen nicht vor.
Ausstellungsansicht Radikal! Künstlerinnen* und Moderne 1910 – 1950, Belvedere Wien 2025
Foto: Johannes Stoll / Belvedere, Wien
Der Wikipedia-Eintrag (1) der Ausstellung ermöglicht es, die Genese der Schau zu verfolgen, die gemeinsam mit dem Museum Arnhem und dem Saarlandmuseum Saarbrücken veranstaltet wird. Initiatorin war Mirjam Westen, eine erfahrene Kuratorin und Kritikerin, der wir viele wichtige Ausstellungen verdanken. In Wien war es Stephanie Auer (Assistenz: Miroslav Haľák und Katarina Lozo), die für das Belvedere die dritte Station kuratierte. Neben einer breiten Palette von Künstlerinnen sind es die verschiedensten Medien, die die Vielfalt auszeichnen und neben der Malerei Fotografie, Druckgrafik, Skulptur und Textilien beinhalten. Die Ausstellung ist dort am stärksten, wo sich mit einzelnen Werken Kontexte und Vorstellungen herstellen lassen, wie im Kapitel „Kunst als Form des Protests“, und am schwächsten, wo eine Position innerhalb der Ausstellung nicht mehr als der bloße Name ihrer Vertreterin ist. Augenscheinlich konnten nicht immer jene Werke ausgeborgt werden, die das Andere, Neue und Radikale anschaulich machen. Dies gilt vor allem für Hannah Höch, Toyen, Sonia Delaunay oder Sophie Taeuber-Arp. Die getroffene Auswahl verrät nichts von ihrer Radikalität, wenn etwa Sonia Delaunay mit einem späteren Bild im Fahrwasser von Orphismus und Simultanität gezeigt wird. Ihre (radikalen) Pionierleistungen lagen allerdings in den frühen textilen Werken oder etwa im ersten simultanen Buch, in dem sie Blaise Cendrars‘ La prose du Transsibérien et de la petite Jehanne de France von 1913 illustrierte. Reicht es schon, wenn eine Künstlerin vertreten und präsent ist? Gleiches gilt für Sophie Taeuber-Arp, von der eine einzelne Puppe aus ihrem Marionettenspiel von 1918 nebst einigen beliebigen Arbeiten auf Papier wenig von ihren epochalen Beiträgen zur Moderne erzählen kann. Und wenn im Kapitel „Kunst ins Leben!“ von der Übertragung der abstrakten Bildsprache in Stoffe und Kleidung die Rede ist, dann ist es in erster Linie ihr Verdienst gewesen.
Toyen, Krieg (Die Vogelscheuche), 1945, 8smicka Foundation, Humpolec
Foto: Polak
Vielstimmig, international und widersprüchlich will die Ausstellung sein: Das gelingt ihr auch, obwohl man sich gewünscht hätte, dass die mehrfach hervorgehobenen Lebensrealitäten auch untereinander Verbindungen zugelassen hätten, wie es etwa das Theater oder das Textile ermöglichen. Immer wieder ist es gerade nicht das Radikale, das im Vordergrund steht. Sonst hätte man Maria Likarz-Strauss mit ihrem wichtigsten Entwurf Irland zeigen müssen, wie in den beiden Stationen davor, und nicht mit einer Kette und einer Bluse aus den 1920er Jahren, die sehr schön, aber kaum als radikal zu bezeichnen sind und allenfalls auf den kommerziellen Betrieb der Wiener Werkstätte verweisen. Was ist mit der textilen Moderne um das Bauhaus? Was ist mit Anni Albers oder mit Lucia Moholy, die doch in der Albertina stark vertreten ist?
Gewiss kann eine Ausstellung nicht alles zeigen und setzt mit der Auswahl eigene Maßstäbe. Diese führen immer wieder zur Frage, ob „radikal“ in der Ausstellung als feste Größe verstanden wird oder sich zu gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten verhält? Wäre die Ausstellung mit einem anderen Titel, der etwa die emanzipatorischen, individuellen und unkonventionellen Lebensrealitäten in den Vordergrund gestellt hätte, nicht stimmiger zu rezipieren? Dann wäre auch die Auswahl der Leihgaben leichter gewesen und der Anspruch einer Differenz zur „konventionellen“ Erzählung der Moderne keine unbezwingbare Forderung. Bisweilen gewinnt man in der Ausstellung den Eindruck, als befände man sich in einem offenen, noch nicht besetzten oder festgeschriebenen Raum: Es ist eine schöne Idee der Ausstellung, das Rad zurückzudrehen und noch einmal neu anzufangen.
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Radikal!_K%C3%BCnstlerinnen*_und_Moderne_1910_%E2%80%93_1950