Rosemarie Trockel

Rosemarie Trockel, Miss Wanderlust, 2000, Ausstellungsansicht Rosemarie Trockel, MMK Frankfurt 2022/23
© The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Frank Sperling

MMK Frankfurt, 10.12.2022 bis 30.7.2023

Keinerlei kuratorische Hinweise, kunsthistorische Bezugsetzungen oder institutionelle Absichtserklärungen begleiten die Retrospektive im Frankfurter MMK, die ganz auf die einzelnen Arbeiten und deren Installation zu setzten scheint: Einzig das Werk soll „sprechen“, wie Yilmaz Dziewior unlängst Rosemarie Trockel zitierte.(1)

Knapp ist der Titel mit „Rosemarie Trockel“ gewählt. Knapp, wenn auch prägnant ist der Einführungstext mit einer allgemeinen Charakteristik der Künstlerin, die jedoch nichts preisgibt, was nicht schon bekannt wäre. Gerne würde man mehr über die Auswahl der Werke oder die Genese der Präsentation wissen. Trockel selbst gibt bekanntlich kaum Interviews und sieht sich nicht als eine „Instanz, die mehr über Kunst weiß als das Publikum“. Sie hätte, so neuerlich Dziewior, überdies „ein starkes Bewusstsein dafür, dass jede und jeder einen anderen Zugang zu ihrem Werk hat.“(2) Gewiss ist die Ausstellung anlässlich des 70. Geburtstags der Künstlerin entstanden, findet – wie im Jahr davor die Retrospektive von Marcel Duchamp – auf drei Ebenen statt und zeigt das Trockelsche Werk seit den 1970er Jahren nebst einigen neuen für die Ausstellung entstandenen Arbeiten. Es sind an die 200 Werke, von denen etwa 30 in einem Ausstellungsbegleiter beschrieben werden. Diese enthalten umfassende Texte zum jeweiligen Werk und versuchen Trockels groß angelegtes Universum an wenigen Beispielen abzuhandeln.

Rosemarie Trockel, Copy Me, 2013, Ausstellungsansicht Rosemarie Trockel, MMK Frankfurt 2022/23
© The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Axel Schneider

Als hätte sie die nicht unschwierige und in die Jahre gekommene Architektur des Hauses wie einen Berg bewältigt, setzt Trockel die ursprünglich für den Kunstraum der Zugspitze bestimmte Miss Wanderlust in eine der oberen Fensternischen im Innenraum des Hauses. Die vorwitzige Touristin aus Polyvinylschaum scheint Vieles hinter sich gelassen zu haben, sie ist eine Beobachterin, der panoramatische Ausblicke gewiss sind. In der Ausstellung nimmt sie die Rolle des Duchampschen „Regardeur“, des „Anschauers“ ein, der als aktiver Betrachter und quasi Co-Autor erst das Werk vollendet, wie Duchamp uns im polemischen Text des Creative Act versicherte. Teilt Duchamp in Künstler und Anschauer, mag dies angesichts des heutigen Kunstbetriebs zu kurz greifen, in der Ausstellung ist es aber gerade der „Transfer“ (Duchamp) vom Werk zum „Anschauer“, der eine zentrale Rolle spielt. Dafür stehen die Bildtitel zur Verfügung, die sehr gesprächig sein können, ohne dass sie zur Gänze entschlüsselt werden wollen. Duchamp werden wir auf dem Rundgang öfters antreffen, in der Arbeit Musicbox von 2013 sogar wörtlich. Im dritten Stock finden wir ein langes, in Stahl gegossenes Designersofa, dessen Polsterung harte Plastikfolie ist. Trockel, so erfahren wir im Ausstellungsbegleiter, verwendet es wie eine Staffelei, um im Atelier ihre Arbeiten zu betrachten. Sie wäre dann wie Miss Wanderlust Anschauerin und Künstlerin in einer Person.

Rosemarie Trockel, Notre-Dame, 2022, Ausstellungsansicht Rosemarie Trockel, MMK Frankfurt 2022/23
© The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Frank Sperling

Ebenso wenig wie kommentierende Texte wird man in der Ausstellung Hinweise finden, dass Trockel eine weltweit bekannte und berühmte Künstlerin ist, die immer schon die „Ausnahmefrau“ war und seit 2018 im Kunstkompass der „Top 100 der lebenden Künstler“ den vierten Platz nach Richter, Nauman und Baselitz einnimmt. Rankings sind Produkte des Kunstmarkts, deren Wertigkeit Trockel relativiert, wenn sie sagt: “Think of the lists in the magazines Kapital and Focus, which use a system of points to measure artists’ success for the benefit of art investors; you can see right away that they have nothing to do with an artist’s quality. Such representation in the media never interested me anyway. I was glad to be able to just let these things happen.”(3) Es sind eben die künstlerischen Qualitäten, auf die sich die Ausstellung konzentrieren will, wenn sie all das stereotype Gerede um Rankings, um Erfolg und Karriere offensichtlich zu vermeiden sucht. Nicht immer war die Karriere positiv besetzt, Künstler wie Picasso waren berühmt, haben aber keine Karriere gemacht, und in den Aufbruchsjahren der 1960er Jahre war das Wort, wie Seth Siegelaub betonte, kein Thema.(4) Erst seit den 1970er Jahren ist die Karriere zum großen Thema geworden und sollte für Trockel ein vielfach mit Klischees besetztes werden. Vorstellungen vom einsamen Heldentum, vom scheuen Außenseiter, vom Genie und vom Wunderkind, wie sie Ernst Kris und Otto Kurz als „Legende vom Künstler“, als sich wiederholende Stereotypen demaskierten, die weniger auf realen Begebenheiten denn auf vorgefassten Klischees basieren, werden in Zusammenhang mit Trockels Karriere häufig angeführt. Ihre ersten Erfolge verdankte sie, glauben wir der Erzählung von Isabelle Graw, einem Wettstreit mit Katharina Fritsch, mit der sie gemeinsam Mitte der 1980er Jahre in Basel ausstellte.(5) Künstlerkonkurrenzen bestimmen die Biographik seit je her und können bis zu Mord und Vergiftung führen, weswegen Dürer in Venedig nicht mit seinen „welschen Kollegen“ zum Essen ging.(6) Nur eine konnte in Basel als Siegerin hervorgehen, wie es aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen Trockel sein sollte, die fortan als „Ausnahmefrau“ den Ruf als einzige „bedeutende junge deutsche Künstlerin“ zu verteidigen hatte.(7) Einzigartigkeit und Überlegenheit sind weitere Topoi neben anderen Klischees, die Trockel von den ersten Erfolgen bis in die Jetztzeit anhaften.

Rosemarie Trockel, Notre-Dame, 2022, Ausstellungsansicht Rosemarie Trockel, MMK Frankfurt 2022/23
© The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022, Foto: Frank Sperling

Was die Themen Karriere, Subjektposition oder Konkurrenz betrifft, können wir uns allerdings in der Ausstellung auch an den Werken selbst orientieren, wie beispielsweise an der Videoarbeit Continental Divide von 1994. Schon in vorangegangenen Arbeiten wie etwa im Schizo-Pullover spielte das Motiv der Verdoppelung eine Rolle, das nun im Spannungsfeld von künstlerischer Positionierung zwischen Außen- und Innensicht drastischer und komplexer aufgerollt wird als es so manche klischeehafte Zuweisung von außen vermochte. Trockel nimmt hier den Kampf mit ihrem Double, ihrem Alter Ego auf. Wieder und wieder stellt sie die Frage: „Who is the best artist?“. Wenn in der Folge 100 Namen, darunter auch Trockel selbst, genannt werden, mag man schon erahnen, dass hier auf ein Ranking verwiesen wird, nämlich auf jene 100 Künstler:innen, die die Zeitschrift Focus 1994 publizierte. Im ¾-Takt des Boléro von Maurice Ravel mit seinem penetranten Ostinato geht Trockel gegen Trockel gewalttätig mit Abstrafen und Züchtigungen vor. Im Ausstellungsfolder lesen wir von der Ich-Spaltung, wie sie Lacan sah. Leben und Kunst, so erfahren wir weiter, sowie der private und der öffentliche Mensch müssen getrennt bleiben. Tatsächlich? Wird hier nicht das genaue Gegenteil suggeriert? Schafft Trockel hier nicht vielmehr eine Art von Panoptikum Foucaultscher Dimension, in dem der Kunstbetrieb in ein Setting von Überwachen und Strafen versetzt wird, in das die Künstlerin doppelt, privat und öffentlich, involviert ist?

Rosemarie Trockel, Continental Divide, 1994, Filmstill
© The artist & VG Bild-Kunst, Bonn 2022 

Angesichts der Gewalt mutet Martin Kippenbergers sanftes Abstrafen von Martin ab in die Ecke und schäm dich recht harmlos an. Die Kunstgeschichte kennt das Double in vielen Varianten. In Eintracht führt Boetti sich selbst an der Hand und wurde mit Alighiero e Boetti zum Paar. Auch Naumans „Violent Incident“ ist eine Paar-Geschichte. Sind Trockel-Trockel ein Paar, wenn sie sich in Opfer und Täter spalten? Wenn Identität zu Echo und Schatten werden und Rollen anbietet, wie sie Trockel etwa im selben Jahr in Fan Fini als Fan von Brigitte Bardot abhandelt?(8)

Zur Rolle gesellt sich gerne die Referenz auf Größe und Maßstab, die mit dem „Continental Divide“, der Wasserscheide zwischen Nord- und Zentralamerika, auf größere Ausmaße verweist. Solche findet man in der Ausstellung häufig, wie etwa nicht weit vom überlangen Sofa in der fast drei Meter hohen Arbeit Notre-Dame, einer überdimensionierten Haarnadel aus Metall. Im Ausstellungsbegleiter lesen wir dazu über die Bändigung des „Wilden und Ungestümen“, ein neuerlicher Topos, den die Biographik als „furore dell’arte“, als künstlerische Begeisterung kennt, dessen Wildheit bisweilen dem Wahn nahe ist.(9)

Langsam beginnt man zu verstehen, warum die Ausstellung allzu viel Text verweigert und Anschauer und Anschauerin mit der Kunst alleine lässt.

(1)   Yilmaz Dziewior zitiert in: „Ausnahme-Erscheinung“: Rosemarie Trockel wird 70:
https://www.sueddeutsche.de/kultur/kunst-ausnahme-erscheinung-rosemarie-trockel-wird-70-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-221111-99-474874 (Zugriff: 11.07.2023)

(2)   Ebenda.

(3)   Rosemarie Trockel 2003 im Interview mit Isabelle Graw:  https://www.artforum.com/print/200303/rosemarie-trockel-4290 (Zugriff: 11.07.2023)

Zur „Ausnahmefrau“ siehe Isabelle Graw, Aneignung und Ausnahme. Zeitgenössische Künstlerinnen: Ihre ästhetischen Verfahren und ihr Status im Kunstsystem, Frankfurt 2003, S.172 ff
https://opus4.kobv.de/opus4-euv/frontdoor/deliver/index/docId/2/file/graw.isabelle.pdf (Zugriff: 11.07.2023)

(4)   Zitiert nach: Der Wandel zum „Berufskünstler“. Seth Siegelaub im Interview mit Susanne Neuburger und Hedwig Saxenhuber, in: Neuburger, Saxenhuber (Hg.), Kurze Karrieren, Wien/Köln 2004, S.20.

(5)   Graw, Aneignung und Ausnahme, S. 175.

(6)   Ernst Kris, Otto Kurz, Die Legende vom Künstler (1934), Frankfurt/Main 1980, S. 155.

(7)   Wie Anm. 5.

(8)   Vgl. Isabelle Graw, Lexikon der Begeisterung. Über das Video „Fan Fini“ in der Ausstellung „Anima“ von Rosemarie Trockel, Mai bis Oktober 1994, im MAK, Wien, in: Texte zur Kunst, Nr.15, S.180 ff.

(9)   Kris, Kurz, S. 74.

 

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